Mittwoch, 17. Oktober 2012

Cochlea-Implantat wenn Technik Taube hören lässt

Kinder bewahrt es vor einem Leben in Stille. Menschen, denen kein Hörgerät mehr hilft, können wieder dem Singen der Vögel lauschen. Heute tragen etwa 30.000 Deutsche ein Cochlea-Implantat.


Julius kann hören – obwohl er taub ist. Möglich machen das die zwei Innenohr-Implantate, die ihm Prof. Joachim Müller vor acht Jahren eingesetzt hat.


Seit der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein sich ein Cochlea-Implantat (CI) einsetzen ließ, ist das Gerät auch vielen Menschen bekannt, die selbst nicht schwerhörig sind. Doch ist die Technologie nicht neu: Die Hörprothesen werden in Deutschland bereits seit den 1980er-Jahren eingesetzt. Seither hat sich die Technik aber rasant weiterentwickelt.

Heute tragen hierzulande etwa 30.000 Menschen ein Cochlea-Implantat. In Frage kommt es dabei für Menschen mit einer Taubheit oder starken Schwerhörigkeit, die ihre Ursache im Innenohr hat. Meist sind die Haarzellen, die akustische in elektrische Signale umwandeln, geschädigt.

Der Grund dafür kann eine angeborene Fehlbildung sein, aber auch eine Infektion. Manchmal entwickeln sich die Probleme auch mit fortschreitendem Alter. Voraussetzung dafür, dass ein CI einem Patienten nützen kann, ist ein intakter Hörnerv. Bei Erwachsenen, die taub wurden, bevor sie sprechen lernen konnten, raten Experten allerdings meist von einem Implantat ab. Für ihr Gehirn wäre es eine Überforderung, sich auf die völlig neuen Hörempfindungen einzustellen.
Doch selbst für Menschen, die nur auf einem Ohr taub sind, kann das CI nützlich sein. Etwa im Fall einer Schauspielerin, die Prof. Joachim Müller, CI-Spezialist am Klinikum Großhadern, erfolgreich operierte. Für sie war es auf der Bühne wichtig zu hören, aus welcher Richtung die Töne kommen. Das CI machte dies wieder möglich.

Bereits vier Monate alten Kindern kann ein CI eingesetzt werden

Damit die Therapie optimal verläuft, ist allerdings nicht nur die Erfahrung des HNOChirurgen wichtig. Ein ganzes Team ist daran beteiligt. Entscheidend ist zunächst, dass die Hörstörung früh erkannt wird. Beim sogenannten Neugeborenen- Hörscreening werden heute Babys bereits wenige Tage nach der Geburt getestet, um – wenn nötig – rasch die richtige Therapie zu erhalten. „Wir operieren bereits Kinder von vier Monaten, wenn die Diagnose gesichert ist“, sagt Müller. So kann die Sprachentwicklung früh, in biologisch wichtigen Zeitfenstern, beginnen. 

Zum CI-Team in Großhadern gehören neben den spezialisierten Ohrchirurgen Prof. Müller, Dr. John Martin Hempel, PD Dr. Eike Krause die Pädaudiologin PD Dr. Maria Schuster sowie Physiker, Techniker, Sprachheilpädagogen, Logopädinnen, Kinderärzte, Audiologen und Pädagogen. Denn vor dem Einsetzen müssen die Diagnostik, vor allem die Hörtests zeigen, ob das Implantat dem Patienten helfen kann. Ist ein Restgehör vorhanden, kann dieses erhalten werden. Der Patient hört dann nach der OP zum Beispiel die tiefen Töne mit seinem natürlichen Gehör, die hohen über das CI. Der Magnetresonanz- oder Computertomograph liefert zudem Aufnahmen des Innenohrs. Diese helfen unter anderem, den Eingriff genau zu planen.

Julius vor fünf Jahren: Prof. Joachim Müller erklärt dem Kleinen, wie das neue Implantat funktioniert.

Ist das CI eingeheilt, muss der Prozessor mit Hilfe des Audiologen eingestellt werden. Dann beginnt die Sprachtherapie. Früher implantierte man meist nur in ein Ohr ein CI. Heute erhalten viele Patienten in beiden Ohren ein Implantat – eine Methode, die Müller bereits 1996 initiierte. Er gilt weltweit als Pionier der bilateralen CIVersorgung. Erst die Versorgung beider Ohren ermöglicht zum Beispiel ein räumliches Hören und Richtungshören. Der Eingriff selbst dauert pro Ohr etwa zwei Stunden. Über einen Schnitt hinter dem Ohr gelangt der Chirurg zum Schädelknochen. In ihn fräst er eine Vertiefung, in der das Gehäuse sicher liegt. Dann ist Fingerspitzengefühl gefragt: Unter dem Mikroskop wird der Weg durch das Felsenbein bis zum Innenohr gefräst, natürlich ganz vorsichtig. Denn hier liegen empfindliche Bereiche dicht beieinander: das Gleichgewichtsorgan, der Gesichts- und Geschmacksnerv sowie die Gehörknöchelchen. „Man braucht Liebe zur Präzision und eine genaue Kenntnis der Anatomie“, sagt Müller. Ist die Gehörschnecke geöffnet, schiebt der Chirurg den Elektrodenträger langsam in die Gehörschnecke und bringt die Elektrode so in Kontakt mit dem Hörnerv. Dann kommt die Prüfung: Dabei hilft der Stapedius-Reflex. Kommt ein lauter Ton am Hörnerv an, zuckt der Stapedius- Muskel im Mittelohr. Genauere Tests sind mit einem speziellen Telemetrie- Gerät möglich: So lässt sich erkennen, ob und wie gut der Hörnerv auf die Signale aus dem CI reagiert.

Patienten müssen das Hören mit dem Implantat lernen

Nach vier bis sechs Wochen ist das Gerät eingeheilt und wird in Betrieb genommen. Dazu erhält der Träger ein zweites Gerät, das hinter dem Ohr sitzt. Es besteht aus einem Mikrofon, einem Prozessor, der die Schallwellen in elektrische Impulse umwandelt, sowie einer Spule. Diese haftet über einen Magneten über einer zweiten Spule im Schädel. Per Induktion werden die Signale durch die Haut an die eingesetzte Spule übertragen. Von hier gelangen sie über die Elektroden zum Hörnerv – und so schließlich ins Gehirn.

Doch damit ist die Therapie nicht zu Ende: Das Hören mit dem CI erfordert Übung, fast wie bei einer fremden Sprache. Auch Menschen, die früher ein gesundes Gehör hatten, müssen das Hören neu lernen. Denn die elektrischen Signale, die das Gerät an den Hörnerv weitergibt, sind sehr verschieden von denen beim natürlichen Hören. Doch das Gehirn ist flexibel. In einer Audio- und Sprachtherapie lernen die Betroffenen, sich auf die neuen Reize einzustellen und sie zu verstehen. Mit ein wenig Übung klappt das meist gut. Mit neuen CI-Geräten können Patienten sogar telefonieren und Musik hören. Kinder werden im Rahmen einer strukturierten Hör- Sprach-Rehabilitation gefördert und auf ihrem Weg in die Welt des Hörens über Jahre begleitet.

Sonja Gibis









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