Mittwoch, 3. November 2010

Audismus und Deafismus (GS)



AUDISMUS 
UND 
DEAFISMUS







Hallo! Herr Prof. Dr. Rathmann und Herr Peters haben den Vortrag "Ist Audismus im (Unter-)Bewusstsein der Gehörlosengemeinschaft vorhanden und verbreitet?" gehalten. Es war auch sehr interessant. So wird es den Gehörlosen auch klarer, was Audismus und Deafismus bedeuten und was für Auswirkungen sie haben. Wir haben diese beiden Gäste nun bei uns und können sie persönlich befragen.

Hallo, Ihr beiden! Was bedeutet Audismus? Könntet Ihr uns die Begrifflichkeiten kurz erklären?
Peters: Audismus bedeutet eine Diskriminierung, die sich auf auditive Hörvermögensgrade bezieht. Diskriminiert wird man, wenn man auf das auditive Hörvermögen reduziert wird. Es bedeutet weiters, dass Hörende Gehörlose unterdrücken und Gehörlose Gehörlose ebenso - schlechterer Hörfähigkeit. Denn oft genug wird gedacht, dass besseres Hören einen besseren Menschen ausmacht.


Welche Vorstellung haben Gehörlose von sich selbst? Wie denken sie über Gehörlosigkeit? Positiv oder negativ?
Peters: Gehörlose selbst haben eine negative Vorstellung vom Gehörlossein: ich kann etwas nicht - denken sie. Sie denken also, dass Hörende besser als sie sind. Aber es geht doch um den Audismus, wodurch Gehörlose unterdrückt werden! Und das passiert, weil wir aus dem Unterbewusstsein reagieren.

Gehörlose haben negative Gedanken über ihren eigenen Status und empfinden sich oft als minderwertig.
Aber wenn Gehörlose hartnäckig bleiben, können Sie ihren Willen durchsetzen.


Wie kann die Gebärdensprache zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen? Was bedeutet Deafismus? Und welche Auswirkung hat er?
Peters: Klar ist, dass man sich durch Sprache definiert. Und Hörende sprechen nun mal Lautsprache - also gehen sie davon aus, dass sich Gehörlose anpassen müssen. Dies sollte jedoch ignoriert werden. Stattdessen sollte mehr gebärdet werden.

Deafismus beschreibt ein weiten Spektrums, das positiv und negativ ist. Zum Beispiel ist negativ daran, wenn Gehörlose sich nur mit Gehörlosen umgeben und Hörende ausgrenzen. Außerdem gibt es welche, die die weniger gebärdensprachkompetenten auch ausschließen. Oder dass Gehörlose ausgestoßen werden, wenn sie hörende Eltern haben! Im Gegensatz zu Gehörlosen, deren Eltern auch gehörlos sind. Das ist negativer Deafismus.

Rathmann: Beim positiven Deafismus zeigt eine Gruppe Selbstbewusstsein, Kompetenz der Gebärdensprache, eigene Kultur, die stolz präsentiert werden kann. Das ist der positive Aspekt von Deafismus. Solange es die Gehörlosengemeinde positiv beeinflusst, wird das Auftreten gestärkt!

Kolonialismus bedeutet, dass Hörende Gehörlose systematisch unterdrücken. Ist die Gehörlosengemeinschaft gut aufgestellt, kann sie der Unterdrückung gut widerstehen. Es ist möglich! Ist die Gehörlosengemeinde nicht gut aufgestellt, konnte das die Gemeinde nicht verkraften und würden daher der Unterdrückung nichts entgegensetzen können.


Wie läuft der Prozeß, der Weg zur Verbesserung ab? Ist er eher langwierig oder verläuft alles glatt? Was müssen Gehörlose dabei eigentlich machen?
Rathmann: Klar ist, dass der Prozeß nicht einfach im Nu vollendet ist, so ist, wie es so sein sollte, sondern er entwickelt sich Schritt für Schritt, wobei darin noch viel auseinandergesetzt und über verschiedene Grundlagen wie Forschungen und Verhandlungen über Kongresse, an denen sich Gehörlose versammeln, diskutiert werden muss.

In Deutschland, England und in den USA sind wir schon ein bisschen weiter. Daraus entwickelte sich ein klares Bild. Ohne den Autausch von Informationen zwischen diesen Ländern wäre es ansonsten schwierig, mehr Klarheit über das Ganze zu bekommen und wie der Prozeß als Ganzes abläuft. Deafhood bedeutet, dass Gehörlose sich entfalten und etwickeln, sodass sie mit sich selbst im Reinen sind. Die eigene Definition von Gehörlosengruppen betrifft nur das, was von sich aus positiv für Gehörlose entwickelt. Andere Definitionen wurden von Hörenden für Gehörlose geformt, wie sie sein sollten (Normen und Werte).

Nein! Gehörlose sollen sich selbst analysieren, was sich aus dem Prozeß entwickelt und entsteht. So kommen Veränderungen zustande. Deshalb gibt es kleine Tipps von mir und ihm, wobei wir gemeinsam in Zukunft bezüglich Gehörlosenunterdrückung weiter arbeiten werden.

Peters: Und auch... in einer Gehörlosengemeinde gibt es Chaos, Probleme und Beschwerden. Wie zB. bei Gallaudet, es gab eine große Protestaktion von gehörlosen Studenten. Wir beobachteten dies und wunderten uns, warum das geschah. Wir sammelten selektive, einzelne Ereignisse zu einem Pool des Wissens für die Forschung zusammen. Daraus hat sich die Wissenschaft entwickelt. Das ist ein Beispiel.

Rathmann: Ein weiteres Beispiel: Gehörlose Kinder werden weniger gut betreut. Schwerhörige Kinder hingegen werden besser betreut. Gehörlose schauen hierbei nur zu und verhalten sich passiv. Die gesamte Gruppe verhält sich daraufhin so, als wäre nichts geschehen. Das könnte bei einer anderen Gelegenheit ... wie zB. beim Kampf um Anerkennung ... negativ auswirken. Die Gehörlosengemeinschaft könnte dadurch schwächer werden. Das könnte passieren!

Aber wenn wir anfangen zu diskutieren und zu überlegen, könnte alles besser werden. Wir müssten dann die Ärmel aufkrempeln und aktiv werden. Dann könnte es bessere Ergebnisse im Bildungsbereich geben. Wenn wir nichts unternehmen, ist jedem weiteren Schritt ein Hindernis in den Weg gelegt und unsere Projekte werden weniger erfolgreich sein.


Welche Aktione, ob positive oder negative, gibt es innerhalb der Gehörlosengemeinde in Bezug auf Deafismus? Konntet Ihr uns das anhand eines Beispiels erklären?
Rathmann: Wie gerade erwähnt gibt es zwei Aspekte von Deafismus. Einer davon ist die negative Form und bedeutet Diskriminierung, während die positive Form das Selbstbewusstsein stärkt. Das ist ein Teil des Deafismus. Gleiches ist gleich. Klarer wird es, wenn Gehörlose bei verschiedenen Themen mehr ins Detail gehen.

Peters: Nehmen wir zB. den Feminismus. Auch hier gibt es positive und negative Seiten. In den 1980er Jahren, am Anfang der Frauenbewegung, hat Al. Kh. dazu aufgefordert Hausfrauen zu unterdrücken. Die Frauen brauchen etwas anderes. Sie bekommen auch, was sie brauchen. Das stärkt das Selbstbewusstsein der Frauen. Das ist ein positives Zeichen von Feminismus.

Parallel kann man den Deafismus hernehmen, der sowohl gute als auch schlechte Seiten hat. Deafismus hat schon begonnen, entwickelt sich bereits weiter. Die Gehörlosengemeinschaft könnte darin positivere Zeichen sehen und mehr Teamfähigkeit entwickeln. Das ist positiver Deafismus.

Rathmann: In Hinsicht darauf könnte es interessant werden. Ein Rollstuhlfahrer schilderte eine Zusammenkunft der Behindertenbewegung und bemerkte, dass es hierzu viele Parallelen zum Deafismus gibt. In den 1980er Jahren rebellierten auch die Behinderten. Das war überwältigend! Als es sich aber weiter entwickelte, sahen die Protestaktionen schon anders aus und haben sich im Vergleich zu früher verändert. Das ist damals bei den Anfängen von Deafismus genauso gewesen. Verschiedene Aspekte von Behinderungen schlossen sich zu einer Gruppe zusammen. Sie gaben Vollgas und wurden aktiv, verbesserten sich. Das ist der gleiche Prozess wie bei der Behindertengruppe. Es ist interessant so etwas zu beobachten.


Was würdet Ihr uns zu unseren Workshop-Angeboten raten? Wie sollten sie gestaltet werden?
Rathmann: Workshops sollen nicht allgemeine Themen behandeln, sondern gezielt auf spezifische Themen eingehen und dieses im Team diskutiert. Diese Diskussionen sollten nicht als Reaktion auf Unterbewusstes passieren, sondern mit Kenntnis und Wissen und bewusst vonstatten gehen.

Es wäre auch wichtig mehr zu sensibilisieren, um mit einem Team eines deutschen Gehörlosenbundes effektiver arbeiten zu können. Dieser Bund könnte mehr Unterstützung bieten. Man sollte sich mit dem Thema beschäftigen und darüber sprechen.


Was gefällt Euch an der österreichischen Gehörlosengemeinschaft? Was haltet Ihr davon?
Peters: Was ich in Österreich sehe, finde ich beeindruckend. Speziell die Berichterstattung über die Diskriminierung in Hinsicht auf Gehörlose und Hörende. Wir Gehörlose können daraus selbst einen Vorteil ziehen, wenn wir davon lesen und dann empfinden, dass es gleich Betroffene wie uns gibt.

Was uns in Österreich beeindruckt, sind Veranstaltung wie "Türkis" oder Gehörlosenfestivals. Genau das ist genau positiver Deafismus. Das bedeutet Halt in der Gemeinschaft. Wir finden das ganz toll und super!

Rathmann: Was wir uns wünschen um mehr Nutzen von Österreich zu erhalten: Aufklärung wie es mit der Gestaltung und Strukturierung eines Projekts aussieht. Wir konnten beobachten, wie die Organisation mit dem Ministerium war und für unsere Beschäftigung ist das wichtig. So wissen wir, was wir unternehmen würden. Solch eine Aufklärung wünschen wir uns.


Welche Vorteile unserer Gehörlosengemeinde wäre für Euch Gehörlose in Deutschland auch nützlich?
Peters: Was mir in Österreich gut gefällt, sind die Diskriminierungsberichte, die sehr hilfreich sind für deutsche Gehörlose, mit denen können wir uns identifizieren. Das ist auch ein Ansporn zum Nachdenken, wie wir damit besser umgehen könnten. Das trägt exzellent zur Verbresserung bei. Ebenfalls beeindruckt mich in Österreich zB. das "Türkise Band" und vieles mehr. Das stärkt die Gehörlosengemeinschaft, zeigt ihre Stärke. Toll!


Vielen herzlichen Dank für die Zeit, die Ihr Euch für das lange Interview genommen habt!

(er)
Foto: Gebärdenwelt
Video: Gebärdenwelt

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