Freitag, 31. Dezember 2010
Mittwoch, 22. Dezember 2010
«Ich bin dumm, ich gebärde»
Bis Ende der achtziger Jahre wurden Gehörlose von Lehrern geschlagen und schikaniert – weil sie die Gebärdensprache benutzten.
«Man schlug mir mit dem Lineal auf die Finger, wenn ich Gebärdensprache benutzte – noch 1984. Einmal musste ich hundertmal den Satz ‹Ich darf nicht gebärden› von der Wandtafel abschreiben.»
Cam Ly, 36, Hausfrau
«Schülern wurde oft auf den Kopf oder auf die Finger geschlagen, wenn sie gebärdeten. In der Sprachheilschule Münchenbuchsee wurde mir beigebracht, dass die Gebärdensprache keinen Wert habe und nur Abfall sei.»
Daniel Ly, 40, Softwareentwickler
Quellen: www.beobachter.ch
Harte Strafen für Gebärdensprache waren in den fünf Deutschschweizer Taubstummenschulen, wie sie früher hiessen, bis Ende der achtziger Jahre gang und gäbe. Das zeigt auch die bisher einzige Untersuchung zum Thema, eine Befragung von 20 Gehörlosen der Sprachheilschule St. Gallen.
In Münchenbuchsee BE musste die gehörlose Ly endlos Buchstaben und Wörter artikulieren. «Wenn ich mich mit der Gebärdensprache verständigte, schlug man mir mit dem Lineal auf die Finger.» Einmal musste Ly hundertmal den Satz «Ich darf nicht gebärden» von der Tafel abschreiben. «Über diese Lehrer bin ich heute noch wütend», sagt die inzwischen 36-jährige Hausfrau – natürlich in Gebärdensprache. Sie hatte das gleiche Bedürfnis wie hörende Kinder, wollte unbeschwert spielen – und durfte es nicht, weil man ihr den Ausdruck mit Gebärden verbot. Nicht nur Ly ging es so, sondern auch ihrem Mann Daniel. Oder Peter Hemmi: «Manchmal mussten wir mehrere Male ums Schulhaus laufen oder seitenlang abschreiben, nur weil wir gebärdet hatten», erzählt der 66-Jährige.
Der Grund für die Verteufelung der Gebärdensprache reicht ins Jahr 1880 zurück. Damals kamen Pädagogen und Ärzte in Mailand zu einem Kongress zusammen. Sie waren begeistert von der Entdeckung, dass Taubstumme gar nicht stumm, sondern «bloss» gehörlos waren und bei entsprechendem Training Worte artikulieren konnten. Bei diesem Training störe aber die Gebärdensprache, meinten die Fachleute. Sie «beeinträchtigt die Klarheit der Gedanken». Deshalb beschloss der Mailänder Kongress, «dass die Artikulationsmethode in der Bildung und Erziehung der Taubstummen der Gebärdensprache vorzuziehen ist». Alle beteiligten Experten von damals waren Hörende. Und ihr Entscheid verbannte die Gebärdensprache für mehr als ein Jahrhundert in den Untergrund. Fortan galt sie als minderwertige Sprache und wurde teils als «Affensprache» oder als «Diebessprache» verhöhnt, weil Affen und Diebe sich mit Zeichen und Mienenspiel statt mit Worten verständigten.
«Ich wurde bestraft, wenn ich die Gebärdensprache benutzt habe. Hat uns in der Taubstummenschule Wollishofen ein Lehrer dabei erwischt, hiess es: ‹Du bist dumm. Du gebärdest.› Und wir mussten wiederholen: ‹Ich bin dumm. Ich gebärde.›»
Peter Hemmi, 66, pensioniert
Dabei ist die Gebärdensprache ein altes Kulturgut, das es bereits seit dem antiken Rom gibt. Sie besteht nicht bloss aus simplen Handzeichen, sondern setzt Bewegungen, Bewegungsrhythmen, -geschwindigkeiten und -wiederholungen in Sinneinheiten um. «Gesprochen» wird sie nicht bloss mit den Händen, sondern auch mit Armen, Schultern, Kopf, Lippen, Zunge, Wange, Nase, Augen, Augenbrauen und der ganzen Stirnpartie. Und sie ist als natürlich gewachsene Sprache auch Seele und Heimat der Gehörlosen. «Gebärdensprache ist unsere Kultur. Sie ist schön, tänzerisch – wie Musik», sagt Peter Hemmi. «Für uns haben gewisse Gebärden weit mehr Gefühl als tausend Worte.»
Die Mailänder Beschlüsse von 1880 waren die Vorboten einer verhängnisvollen Entwicklung. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden Gehörlose von Psychiatern und Fürsorgestellen für geisteskrank erklärt. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden sie ermordet und in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg oft zwangssterilisiert. Die Unterdrückung der Gebärdensprache erscheint so wie der letzte Ausläufer einer grundsätzlichen Diskriminierung der Gehörlosen, die bis heute weiterwirkt. Bis ins Skilager, bis in die Schulstuben. So tat sich ein tiefer Graben zwischen Gehörlosen und Hörenden auf.
«In der Schule musste ich die Hände hinter dem Rücken halten und reden, reden, reden», erzählt Peter Hemmi. Deshalb habe er die meiste Zeit einseitig mit Artikulationsübungen verplempert und wenig inhaltlichen Schulstoff gelernt. «Ich musste immer Vokale artikulieren», erinnert sich Cam Ly. Das sei ein unglaublicher, ein wahnsinniger Aufwand gewesen – und eine riesige Zeitverschwendung.
IMPLANTATE: VERGEWALTIGUNG DURCH HÖRENDE
Mit weitreichenden Folgen: «Die Unterdrückung der Gebärdensprache hat dazu beigetragen, dass der Bildungsstand unter den Gehörlosen in der Schweiz tief ist», erklärt Daniel Hadorn, Leiter des Rechtsdienstes des Schweizerischen Gehörlosenbundes. Im Unterschied zu nordischen Ländern gebe es in der Schweiz sehr wenig Akademiker unter den Gehörlosen, weil man hierzulande zu spät auf die zweisprachige Erziehung gesetzt habe und in den Gehörlosenschulen auch heute noch viel zu selten sowohl in Gebärden- wie auch in Lautsprache unterrichtet werde.
Erst 1985 wurde in der Schweiz eine Dolmetscherausbildung angeboten. Parallel dazu emanzipierten sich die Gehörlosen von den Hörenden. 1998 verliess der Schweizerische Gehörlosenbund den Verband für das Gehörlosenwesen, einen Verband hörender Gehörlosenfachleute, weil sich die Gehörlosen dort von den Hörenden bevormundet fühlten.
So richtig voran kam die Rehabilitierung der Gebärdensprache in der Schweiz erst in diesem Jahrtausend: Seit 2000 finanziert die Invalidenversicherung Dolmetscher am Arbeitsplatz, seit 2004 kann der Bund die Gebärdensprachenbildung und -ausbildung finanziell fördern, seit 2006 muss pro Tag und pro Amtssprache eine redaktionelle Sendung des Schweizer Fernsehens auch in Gebärdensprache gesendet werden. Im Jahr darauf hielt der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger die erste Ansprache eines Regierungsmitgliedes in Gebärdensprache – etwas unbeholfen abgelesen vom Laptop, aber symbolisch von weitreichender Bedeutung.
«In der Öffentlichkeit ist die Gebärdensprache heute präsent und anerkannt», sagt Hadorn vom Gehörlosenbund. «In den Schulen und bei den Ärzten aber noch lange nicht.» Viel zu oft versuche man mit neuartigen Hörgeräten – den sogenannten Cochlea-Implantaten – Gehörlose zu Hörenden zu machen, statt sie sowohl in Laut- wie auch in Gebärdensprache zweisprachig zu fördern.
Diese Hörimplantate erleben einige Gehörlose als Vergewaltigung durch die Hörenden. So stellte sich zum Beispiel der gehörlose Slam-Poet Rolf Perollaz in einer Performance an einem Deaf Slam – einem Poetry Slam der Gehörlosen – vor, dass alle Hörenden in ein Konzentrationslager gebracht werden und ihnen dort das Trommelfell zerstört wird. Die Ärzte werden an die Wand gestellt. Die Provokation zeigt: Der Riss zwischen Gehörlosen und Hörenden geht noch immer tief.
«DIE BEIDEN SPRACHEN SIND GLEICHWERTIG»
Wie eine Geste der Versöhnung wirken deshalb die Beschlüsse des Fachkongresses im kanadischen Vancouver (siehe Infos). In der offiziellen Resolution werden die «verheerenden Auswirkungen» der Mailänder Beschlüsse bedauert. Die Entschuldigungserklärung wurde von rund zwei Dritteln hörender und einem Drittel gehörloser Fachleute verabschiedet.
«Das war ein sehr bewegender Moment», erzählt Tobias Haug, Professor an der Hochschule für Heilpädagogik Zürich, der am Kongress in Vancouver dabei war. «Die Resolution wurde von Hörenden und Gehörlosen zusammen vorgetragen. Und genau das ist das wichtige Signal: Beide Gruppen müssen jetzt aufeinander zugehen.» Für Haug ist es mit der Erklärung von Vancouver alleine nicht getan. Noch immer seien die Mailänder Beschlüsse tief im kollektiven Bewusstsein verankert, dass nämlich die Gebärdensprache eine minderwertige Sprache sei. «Jetzt gilt es, mit vielen nationalen und regionalen Aktionen das neue Leitbild in der Gesellschaft, in den Schulen und in Fachkreisen zu verankern – dass nämlich Laut- und Gebärdensprache gleichwertig sind.»
«DAS WAREN MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN»
Genau diesem Anliegen dient ein Vorstoss des Zürcher Gehörlosensportverbands: Er fordert von den Gehörlosenschulen eine Entschuldigung für die Unterdrückung der Gebärdensprache. «Das braucht es unbedingt», begründet der gehörlose Peter Hemmi, der Initiant des Vorstosses, «weil diese Diskriminierung einer ganzen Sprache und Kultur nicht harmlos war. Das waren Menschenrechtsverletzungen.»
Jan Keller, Direktor des Zentrums Gehör und Sprache Zürich – wie die Gehörlosenschule heute heisst –, spricht nicht von einer Unterdrückung der Gebärdensprache. Er sagt: Die Gebärdensprache wurde von den Schulen nicht als Bildungssprache mit einbezogen. «Dadurch versuchte man unter anderem den Druck auf Gehörlose zu erhöhen, die Lautsprache tatsächlich zu erlernen», erklärt der Schulleiter. Es sei gut möglich, dass dabei einzelne Institutionen und Lehrpersonen die falschen Mittel eingesetzt hätten. «Doch böse Absicht stand nicht dahinter.»
Man habe die Gehörlosen für ein selbständiges Leben kompetent machen wollen, indem man ihnen das Sprechen beibrachte. Das ist gemäss Keller nicht schlecht gelungen. So habe die berufliche Integration in der Schweiz vergleichsweise gut funktioniert. Ein Bildungsdefizit von Schweizer Gehörlosen wegen des Zwangs zur Lautsprache sieht der Schuldirektor nicht. «Gehörlose haben ein Startdefizit, weil Hörende sehr viel en passant übers Ohr aufnehmen.»
Und was meint Keller zur Forderung der Betroffenen nach einer Entschuldigung für die Misshandlungen? «Man muss zuerst untersuchen, wofür man sich genau entschuldigen soll. Wenn man Kinder misshandelt hat, muss das auf den Tisch kommen. Aber dafür braucht es zuerst eine gründliche historische Forschung.» Eine solche unterstützt Keller ausdrücklich.
Der Schweizerische Gehörlosenbund ist in einer unbequemen Situation. Er hat in den letzten Jahren wichtige Brücken geschlagen zwischen der Welt der Gehörlosen und jener der Hörenden. Und jetzt liegt der Antrag des Gehörlosensportverbands auf seinem Tisch, der unmissverständlich eine Entschuldigung von den Gehörlosenschulen fordert – also von jenen Institutionen, die man heute für eine zweisprachige Erziehung gewinnen will. Soll man die Vergangenheit ruhen lassen, um die heutige Zusammenarbeit nicht zu belasten? «Wir haben alle Sektionen aufgefordert, uns ihre Meinung zu diesem Vorstoss mitzuteilen», sagt Daniel Hadorn vom Gehörlosenbund. Der Dachverband wird seinen Beschluss an der Jahrestagung im Mai 2011 fassen.
«Eine Entschuldigung alleine reicht nicht aus», sagt Daniel Ly. «Alle – vom Kind bis zu den Erwachsenen – haben Anspruch auf Bildung in Gebärdensprache.» Das unterstreicht auch Peter Hemmi, wenn er fordert, dass die Schweiz endlich die Uno-Konvention über Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifizieren soll. «Eine Entschuldigung der Gehörlosenschulen wäre ein wichtiges Zeichen», erklärt schliesslich Cam Ly. «Vielleicht würde man dann die Gebärdensprache endlich ernst nehmen.»
Mehr Info (mit Youtube) unter: www.beobachter.ch
Die fünfte Landsprache Schweiz
dos_Grundlagen_Gebärdensprache_d_def.pdf
Die fünfte Landessprache
Die Gebärdensprache ist genau wie die gesprochenen Sprachen linguistisch höchst komplex. Penny Boyes Braem hat das Kommunikationsmittel der Hörbehinderten erforscht und eine Datenbank der Deutschschweizerischen Gebärdensprache angelegt.
Dienstag, 21. Dezember 2010
CI könnten höher gefährdet sein
Quellen: http://www.oeglb.at/?id=SZ2002-09-14-5600
Träger von Cochlea-Implantaten könnten höher gefährdet sein, Meningitis zu bekommen
Die FDA bemerkte einen möglichen Zusammenhang zwischen Cochlea-Implantaten und einem Vorkommen von bakterieller Meningitis
Weltweit wissen wir von 91 Berichten von Meningitis bei Patienten, denen die drei FDA-genehmigten Cochlea-Implantate eingesetzt wurden: Advanced Bionics Corporation Geräte (56 Fälle), Cochlear Limited Geräte (33 Fälle) und MED-EL Corporation Gerät (1 Fall). Insgesamt 17 Todesfälle sind aus diesen Meningitis-Fällen hervorgegangen.
In den USA weiss die FDA von 52 Meningitis-Fällen nach der Implantation: Geräte von Advanced Bionics Corporation (29 Fälle), Geräte von Cochlear Limited (22 Fälle), und ein Gerät von MED-EL Corporation (1 Fall). 5 Fälle führten zum Tode. Die Geräte von Cochlear Limited, Advanced Bionics und MED-EL wurden jeweils 1985, 1996 und 2001 genehmigt. Alle Fälle werden derzeit untersucht. Laut Informationen, die von den Herstellern geliefert wurden, hatten der Fall von MED-EL Corporation und die Mehrheit der Fälle von Cochlear Limited anfällig machende Faktoren an Meningitis, die nicht mit dem Implantat in Zusammenhang stehen (z.B. Mondini-Innenohrmißbildung, Vor-Implantations-Geschichte von Meningitis – siehe untenstehenden Absatz „Prädisponierende Faktoren“).
Mehr Info siehe unter:
Das Cochlea-Impantat aus Sicht der Gehörlosen
Ein grosser Teil der Gehörlosen hat starke Bedenken gegen die Verbreitung des Cochlea-Implantats oder lehnt es ganz ab. In diesem Beitrag werden ihre Einwände kurz zusammengefasst und versucht, eine Eindruck von der Komplexität des Themas zu vermitteln.
Kein anderes Thema hat die Gemeinschaft der Hörgeschädigten, insbesondere die der Gehörlosen, so bewegt wie die Entwicklung und Anwendung des Cochlea-Implantats (CI), das die HNO-Mediziner als vielversprechendes Mittel zur Behebung der Hörschädigung preisen. Plötzlich werden die Gehörlosen wieder mit der alten Frage konfrontiert, deren Realisierung bisher als Utopie anzusehen war und jetzt scheinbar in greifbare Nähe gerückt ist: Falls einem Gehörlosen die Möglichkeit gegeben wird, hören zu können, wie würde er reagieren?
Als Mitglied der hörenden Majorität wäre man verwundert, dass Gehörlose große Schwierigkeiten haben, diese Frage eindeutig zu beantworten oder diese Möglichkeit sogar ablehnen.
Eher betrachten die Gehörlosen das Cochlea-Implantat als ein "Machtinstrument" einer Gruppe von Hörenden, insbesondere den hörenden Fachleuten oder Angehörigen, die die unauffällige Assimilierung der Gehörlosen an die hörende Majörität anstreben. Alle verbliebenen Hörreste sollen insofern ausgenutzt werden, dass der Erwerb einer Lautsprache noch über den auditiven Weg ermöglicht werden kann und der Gehörlose sich den Hörenden lautspachlich verständlich machen kann. Dabei wird oft vergessen, dass nicht allein die Hörfähigkeit für eine erfolgreiche Kommunikation ausreichend ist. Viele andere Faktoren, wie parallel zur Kommunikation verlaufende kognitive Prozesse, Umweltbedingungen oder die Art und Qualität der codierten Informationen sind ausschlagebend für eine ungestörte und gesicherte Kommunikation und die gesicherte Übermittlung von Bedeutung.
Die Vetreter der sogenannten "Deutschen Methode" befürchteten jedoch, dass sich die Verwendung der Gebärdensprache nachteilig auf den Erwerb der Lautsprache auswirken würde. So wurde die Gebärdensprache in allen Bildungseinrichtungen verboten und die Kommunikation nur noch über Lippenlesen und mittels Artikulationsversuchen unter Ausnutzung der vorliegenden Hörreste mit Hörgeräten gestattet.
Als Folge der jahrhundertlangen Unterdrückung der Gebärdensprache wurden die Gehörlosen zu "stummen" Wesen degradiert, was sich auch in dem verbreiteten Begriff "Taubstumme" niederschlug. Dieser Begriff verstärkte das Stereotyp-Bild des Taubstummen, der auch im Geiste beschränkt sei, wenn er nicht sprechen könne.
Jedoch wurde die Gebärdensprache im privaten Bereich und in den Gehörlosenorganisationen weiter verwendet und auf diese Weise die Gehörlosen vor dem Absturz ins Nichts bewahrt. Durch die Gebärdensprache konnten die Gehörlosen ihre Bedürfnisse nach Informationen und sozialem Austausch stillen. Es bildete sich eine soziokulturelle Nische, in der sich eine Gemeinschaft der Gehörlosen mit der Ausprägung eigener kultureller Merkmalen etablieren konnte.
Im Zuge der Wiederentdeckung der Gebärdensprache durch die Linguisten seit den 60er Jahren, insbesonders in den Vereinigten Staaten, entstanden auch Forderungen nach dem Einbezug der Gebärdensprache im Unterricht gehörloser Kinder. Die so genannte "bilinguale Methode" soll gewährleisten, dass gehörlose Kinder auf Basis der ihrer visuellen Ausrichtung adäquaten Gebärdensprache die Lautsprache verstehen und produzieren können. Mehrere bilinguale Modellversuche zeigen bereits vielversprechende Ergebnisse. Sie weisen nach, dass auf Basis der Gebärdensprache auch die Fähigkeiten sowohl der Rezeption von Lautsprache mittels Hörgeräten, Absehen von Mundbildern und Hörtaktik, als auch die der Produktion von Lautsprache in Laut- und Schriftform verbessert wurden.
Dementsprechend waren die Hoffnungen der Gehörlosen auf Integration in die Gesellschaft mittels Gebärdensprache (Gebärdensprachdolmetscher, Bildtelefon etc.) ohne Assimilationszwang hoch: Einmal in der Bildung Gehörloser anerkannt, schien die Chance auf eine gesetzliche Anerkennung der Gebärdensprache zu steigen.
So ist die Angst der Gehörlosen berechtigt, dass der Einsatz des CI den Methodenstreit fortsetzt und die Errungenschaften auf dem Wege der gesetzlichen Anerkennung der Gebärdensprache zunichte macht. Der Streit führt dazu, dass sich Gehörlose in ihrem Wesen unverstanden fühlen und meinen, dass ihnen ihre Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft aberkannt würde. Auch wurden Befürchtungen laut, dass die Gemeinschaft der Gehörlosen ausgehöhlt würde oder gar bedroht sei, falls den gehörlosen Kindern der Zugang zur Gebärdensprache erneut verwehrt würde.
Meines Erachtens ist jedoch die teils heftige Ablehnung des CI durch die Gehörlosen nicht in erster Linie auf die Ängste als Mitglied einer verschwindenden Minderheit (auch angesichts der aktuellen Genetik-Diskussion, die eventuell vererbbare Gene der Gehörlosigkeit ausmerzen könnten) zurückzuführen, sondern auf die eigenen Erfahrungen mit den hörenden "Paternalisten", die angeblich das Beste für die Gehörlosen wollen und sie mit allen Mitteln in die hörende Mehrheit zu integrieren versuchen, anstatt auf ihre eigenen Bedürfnisse einzugehen und ihre kompensierten Fähigkeiten zu nutzen.
Auch wehren sie sich gegen das medizinische "Menschenbild", das Hörunfähigkeit als einen defizitären Makel betrachtet, den es zu beheben gilt und das somit den Gehörlosen zu einem unvollständigen Wesen herabsetzt. Damit rückt diese Sichtweise das Leben Gehörloser in die gefährliche Nähe des "unwerten Lebens" der Nazi-Ideologie, unter der auch die Gehörlosen zu leiden hatten.
Zwar können durch das Hörtraining Fähigkeiten entwickelt und gefördert werden, so dass sich bei CI-Trägern die Hörqualität immer noch von der Hörendern unterscheidet, die Rezeption der auditiven Reize und deren Einordnung durch intensives Training jedoch insoweit angeglichen werden können, dass entsprechende Reaktionen sich nicht von denen Normalhörender unterscheiden. Doch können häufig bestimmte Erwartungen wie die Erweckung musikalischer Eindrücke und Vorstellungen vom gemeinsamen Singen nicht erfüllt werden. Bei anderen Hörgeschädigten wie schwerhörigen Kinder mag das CI den erwünschten Effekt erzielen; es besteht jedoch dann die Gefahr, dass diejenigen stark hörgeschädigten CI-Träger, die die Zielvorgaben nicht erreichen konnten, als Versager angesehen werden oder die Schuld an die beteiligten Eltern wegen "mangelnder Mitarbeit" abgeschoben wird.
Gehörlose wissen aus eigener Erfahrung, dass mit dem Eingang in die Berufswelt der einzelne Hörgeschädigte hohen kommunikativen Belastungen ausgesetzt ist, die auch das CI nicht alleine auffangen kann. Entsprechende Enttäuschungen stark Hörgeschädigter, die sich in Erwartung verbesserter Kommunikation ein CI implantierten ließen, führten teilweise zu psychischen Erkrankungen. Es wird unter anderem davor gewarnt, dass sich durch die tägliche Unsicherheit in der Kommunikation und die damit verbundene Desorientierung in der kommunikativen Selbstsicherheit eventuell marginale Persönlichkeitsstörungen herausbilden können. Ohne den Rückhalt in einer Gebärdensprachgemeinschaft ist dann der CI-Träger nach enttäuschenden Erfahrungen vielleicht nicht mehr in der Lage, sein Leben in der hörenden Gesellschaft erfolgreich zu bewältigen.
In der ersten Euphorie wurden ebenfalls bei Eltern gehörloser Kinder Hoffnungen und Erwartungen geschürt, die in den meisten Fällen unerfüllbar bleiben.
Der Diagnoseschock nach der Feststellung der Hörschädigung sitzt oft so tief, dass die Eltern ohne psychische Begleitung nicht ohne weiteres in der Lage sind, sich sachlich mit den kommunikativen und sozialen Auswirkungen der Hörschädigung auseinanderzusetzen und sich auf die "andere Wirklichkeit" der Gehörlosen einzulassen. Damit wird auch die persönliche Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis als Hörende versäumt, wodurch andere interessante Aspekte in der Betrachtung des "Menschseins" oder andere Lebensentwürfe, wie es die Gehörlosen vorleben, nicht zur Kenntnis genommen und ausgeblendet werden.
Die häufige Unfähigkeit, mit der Diagnose der Hörschädigung umzugehen, führt bei Eltern zumeist zum "Klammern am Strohhalm": Jede medizinische Therapie einschließlich das Cochlea-Implantat wird als segensreich empfunden. Dabei wird die Auseinandersetzung mit der eigentlichen Ausgangssituation des hörgeschädigten Kindes vermieden, man orientiert sich am eigenen Status als Hörender. Das Kind solle nach Möglichkeit die gleiche Hörfähigkeit wie die Eltern erlangen, damit es dann die Lautsprache erwerben und so integriert werden kann.
Dabei wird außer acht gelassen, dass das Kind bereits in den ersten Jahren multisensorisch die Umwelt erfährt, wobei eventuell fehlende Wahrnehmungsfähigkeiten, hier die auditive Wahrnehmung, durch alternative Wahrnehmungsstrategien wie der gesteigerten visuellen Wahrnehmung kompensiert werden. Anstatt diese Umstände zu berücksichtigen und zu nutzen, hält man krampfhaft an Vorgaben der hörgerichteten Erziehung fest. Dass der Stress zu Belastungen in der familiären Interaktion führen kann, haben Beratungsstellen für Eltern hörgeschädigter Kinder bereits registriert, wo viele Eltern über unvorhergesehene Folgeprobleme zumeist psychischer Art nach der CI-Implantierung berichten. Welche Auswirkungen dies wiederum auf die persönliche Entwicklung der gehörlosen Kinder haben wird - insbesonders in der sensiblen Phase der Pubertät, in der Eckpunkte zur Ausrichtung der eigenen Identität und des Selbstbewusstseins gelegt werden -, konnte bisher aufgrund der jungen Geschichte der CI-Implantierung kaum untersucht werden.
Ausgehend davon wurden auch ethische Bedenken im Umgang mit den hörgeschädigten Kindern laut: Kleine Kinder können nicht selbst darüber verfügen, ob sie das CI wollen oder nicht. Eltern können sich nicht in die Situation der gehörlosen Kinder und ihre Ausgangssituation für die spätere Entwicklung als Hörgeschädigte versetzen und wissen, was das Beste für hörgeschädigte Kinder ist. Forderungen nach der Einbeziehung von hörgeschädigtem Personal in der Rehabiltation von CI-Trägern und die Elternberatung kamen auf. Bisher haben die CI-Zentren, die sich der Hörerziehung widmen, kaum hörgeschädigtes Personal eingestellt, das ebenfalls in der Beratung der Eltern aktiv werden könnte und durch positive Rollenmodelle zur Entkrampfung in der Interaktion zwischen Kindern, Eltern und Pädagogen beitragen könnte.
Auch stellt sich die Frage, ob der operative Aufwand für das Kleinkind noch angemessen ist. Psychologische Untersuchungen weisen nach, dass Kinder nach schweren Operationen oft unter Traumata leiden. Die Frage ist nun, ob der Gewinn durch die verbesserte Hörfähigkeit die psychischen und medizinischen Folgerisiken des operativen Eingriffs ausreichend rechtfertigen kann.
Darüberhinaus konnten auch andere Bedenken im biotechnischen Bereich - unter anderem mögliche Langzeitauswirkungen der elektischen Impulse bei der Übertragung der Hörreize in die Elektroden auf die sensiblen Gehirnbereiche, insbesonders in der Wachstumsphase des Kindes - nicht eindeutig widerlegt werden.
Zwar sind die Mediziner darum bemüht, die Folgerisiken des CI zu reduzieren. Doch die Verantwortung über die weiterreichenden Auswirkungen im täglichen Leben der CI-Träger wird nicht von Ihnen getragen.
Neuere Ansichten und Ansätze in der Gehörlosenpädagogik, welche die bilinguale Methode und das CI als sich gegenseitig ergänzende Rehabilitationssysteme betrachten und beides miteinander zu verbinden versuchen, befinden sich zurzeit noch in der Diskussionsphase, da damit noch nicht die Bedenken des DGB ausgeräumt werden können.
Die wichtigsten Bedenken gegen das CI werden also nicht alleine von der medizinischen Seite vorgetragen (es existieren ebenfalls wie bei allen anderen medizinischen Eingriffen Risiken, die als Früh- oder Spätkomplikationen wie zum Beispiel die Stimulation des Nervus facialis dokumentiert sind), sondern es werden hauptsächlich bioethische und psychosoziale Folgen befürchtet, wie sie beispielweise auch in der Genetikdiskussion bekannt sind.
Bislang ließ sich auch nicht ganz der Verdacht von wirtschaftlichen Verstrickungen der Mediziner ausräumen, die mit dem CI-Vertrieb verbunden sind. Jedenfalls wird es von den Gehörlosen als Ungerechtigkeit empfunden, dass einerseits für die CI-Therapie ungeheure Geldmittel vorhanden sind, aber auf der anderen Seite günstigere Rehabilitationsmittel wie Kommunikationsgeräte (Bildtelefon, Faxgeräte etc.) und Batterien für Hörgeräte eingespart werden, zumal die erwartete Integration als nicht gesichert gilt und die CI-Träger weiterhin auf andere Mittel angewiesen sein werden.
Zurzeit werden auf Seiten der CI-Befürworter und -Gegner Untersuchungsergebnisse zu verschiedenen psychosozialen und pädagogischen Aspekten der CI-Implantierung herausgebracht, die sich sich oft widersprechen und eher zur Verwirrung statt zu einer sachlichen Auseinandersetzung beitragen. So wurden bereits viele der oben genannten Bedenken als unbegründet bezeichnet, jedoch konnten diese bisher nicht eindeutig entkräftet werden.
Bis zu einer eindeutigen Entkräftigung der Argumente gegen das CI werden daher die Gehörlosen gegenüber dem Themenkomplex nicht vorbehaltlos positiv eingestellt sein, sondern die Entwicklung weiterhin kritisch verfolgen.
Dipl.Psych. Simon Kollien |
Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser Universität Hamburg |
Donnerstag, 16. Dezember 2010
Montag, 13. Dezember 2010
Freitag, 10. Dezember 2010
Veränderungen in der Geschäftsleitung von Sonova
STÄFA, Schweiz--(BUSINESS WIRE)--Sonova Holding AG, der weltweit grösste Anbieter von Hörsystemen, gibt bekannt, dass Cameron Hay per 30. November 2010 als Präsident und CEO von Unitron Hearing zurücktritt.
Cameron Hay verlässt die Sonova Holding AG nach über 5 Jahren als Mitglied der Geschäftsleitung, um sich neuen beruflichen und privaten Herausforderungen ausserhalb der Gruppe zu stellen. Die Sonova Holding AG wird in Kürze einen Nachfolger für die Position ernennen.
– Ende –
Haftungsausschluss
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Über Sonova
Sonova steht für innovative Lösungen rund um das Thema Hören. Der global tätige Konzern ist der grösste Hersteller von Hörsystemen weltweit, Marktführer in der drahtlosen Kommunikation für audiologische Anwendungen, entwickelt und stellt fortschrittlichste Cochlea-Implantate her und ist Anbieter professioneller Lösungen zum Schutz des Gehörs. Die Sonova Gruppe verfolgt eine klare Wachstumsstrategie und beabsichtigt nachhaltig stärker als der Markt wachsen. Dazu baut sie die bestehenden Geschäftsfelder kontinuierlich aus und expandiert in zusätzliche Bereiche der Hörindustrie.
Sonova ist in über 90 Ländern vertreten. Die Gruppe hat mehr als 6’800 Mitarbeitende und erzielte im Geschäftsjahr 2009/10 einen Umsatz von CHF 1,5 Mrd. sowie einen Reingewinn von CHF 355 Mio.
Die finanzkräftige Firmengruppe setzt erfolgreich auf Innovation, Kundennähe und pro-aktive Kostenkontrolle. Seit über 60 Jahren sorgt Sonova erfolgreich für besseres Verstehen und ist optimal positioniert, um von den Trends dieser Wachstumsindustrie zu profitieren.
Für weitere Informationen besuchen Sie bitte www.sonova.com.
Sonova Aktien (Ticker-Symbol: SOON) sind seit 1994 an der SIX Swiss Exchange kotiert.
Sonova Holding AG
Laubisrütistrasse 28 · 8712 Stäfa · Schweiz
Telefon +41 58 928 33 33 · Fax +41 58 928 33 99 · www.sonova.com
Hören und Sehen lehren
Elektronische Implantate
Wenn Blinde wieder sehen und Taube wieder hören können, dann ist das ein Wunder, bewerkstelligt durch Netzhaut- bzw. Cochlea-Implantate. Diese elektronischen Prothesen sind funktionale elektrische Stimulatoren (FES), die verlorene motorische und sensorische Funktionen wieder herzustellen vermögen. Eine zum Teil sehr hohe Anzahl von Ausgangskanälen, sehr begrenztes Raum- und Leistungsbudget sowie eine hohe Anzahl an Sicherheitseigenschaften machen diese Systeme extrem anspruchsvoll, insbesondere auch beim Entwurf der Elektronik.
Wenn Blinde wieder sehen und Taube wieder hören können, dann ist das ein Wunder, bewerkstelligt durch Netzhaut- bzw. Cochlea-Implantate. Diese elektronischen Prothesen sind funktionale elektrische Stimulatoren (FES), die verlorene motorische und sensorische Funktionen wieder herzustellen vermögen. Eine zum Teil sehr hohe Anzahl von Ausgangskanälen, sehr begrenztes Raum- und Leistungsbudget sowie eine hohe Anzahl an Sicherheitseigenschaften machen diese Systeme extrem anspruchsvoll, insbesondere auch beim Entwurf der Elektronik.
Dienstag, 7. Dezember 2010
Montag, 6. Dezember 2010
Das elektrische Ohr Ein Implantat verspricht den Weg aus der Stille
Etwa 80.000 Menschen in Deutschland sind gehörlos. Trotz Gebärdensprache und Lippenlesen bedeutet die Gehörlosigkeit noch immer soziale Trennung von der Welt der Hörenden. Angeborene Fehlbildungen, Schäden aufgrund von Verletzungen, Entzündungen oder eine Vergiftung können die Ursache sein, wenn das Ohr seinen Dienst versagt. Wie empfindlich der Hörapparat ist und wie schwierig es ist, ihn durch eine Prothese zu ersetzen, versteht man, wenn man den komplizierten Weg der Schallwellen von der Ohrmuschel über die ausgefeilte Mechanik der winzigen Gehörknöchelchen bis hin zum Hörnerv verfolgt. Das Cochlea-Implantat setzt am Ende dieses Weges an. Eine Elektrodenbahn direkt am Hörnerv soll Gehörlosen einen Weg aus der Stille bieten.
Sonntag, 5. Dezember 2010
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