Dienstag, 18. Januar 2011

Haben Kinder ein “Recht” auf elektrische Ohren?

Haben Kinder ein “Recht” auf elektrische Ohren? Oder darauf, kein Cochlea Implantat zu haben?

 

 

Die Möglichkeiten oder Angebote der modernen Medizin finde ich ja gut. Wären es Zwänge – oder werden es über sozialen Druck Zwänge — finde ich sie weniger gut. Aber wie sieht es eigentlich mit Rechten aus? Haben taube Kleinkinder ein Recht auf ein Cochlea Implantat (CI) — und wenn man es ihnen nicht noch im Kindesalter verschafft, ist man im Unrecht? Oder ein Recht darauf, keinImplantat zu erhalten? Und ist, wer dagegen verstößt eigentlich nur moralisch im Unrecht oder sogar rechtlich?
Keine einfachen Fragen, sehr unangenehme sogar. Vor ein paar Wochen ist dazu ein interessanter Text erschienen:
Müller, S; Zaracko, A. (2010), „Haben gehörlose Kleinkinder ein Recht auf ein Cochleaimplantat?“ Nervenheilkunde 29 (4): 244-248
Ich wollte schon länger was darüber schreiben, habe es aber immer aufgeschoben. Jetzt hat sich aber vor ein paar Tagen schon Jule dazu geäußert. Dann hat gestern Regenbogen hier im Blog den ersten Kommentar dazu geliefert, der vielleicht in der anderen Diskussion etwas untergeht. Bernd vom Taubenschlag hat eine Diskussionsvorlage geliefert. Und schließlich erhielt ich noch ein paar E-Mails, in denen ich gefragt wurde, was ich von dem Text halte. Darum hier nun ein paar schnelle Gedanken dazu — keineswegs fertig, es darf diskutiert werden:
Müller und Zaracko wollen die Frage beantworten, „ob Eltern das Recht haben, ihren gehörlosen Kindern ein CI zu verweigern“ (245). Die Frage ist also: Wo sind die Grenzen der Autonomie der Eltern bei Fürsorge und Erziehung ihrer Kinder? Wann darf, wann muss der Staat einschreiten um Pflege und Erziehung der Kinder sicherzustellen und ihre Rechte zu schützen? Dornige Frage, überall wo sie sich stellt — und das ist ja beileibe nicht nur und nicht einmal hauptsächlich bei CIs der Fall. Man denke nur an Mißbrauch und Verwahrlosung. Und es könnte tatsächlich dazu kommen, dass ein Fall so eskaliert, dass ein Gericht die Frage klären muss.
Kernsatz von Müller und Zaracko ist, soweit ich sehe:
Im Fall des CI sind die Folgen der Implantation weitgehend reversibel, die der Nichtimplantation aber nicht.
Darum plädieren sie dafür, gehörlose Kinder sowohl mit einem CI zu versorgenals auch sie Gebärdensprache zu lehren. Beides. Immer. Immer Gebärdensprache vermitteln. Aber auch immer implantieren.
Denn ein CI zu verweigern schädige das Kind nachhaltig — und zwar insofern als es „im sozialen Leben, insbesondere in seiner späteren Berufswahl, erheblich eingeschränkt sein wird“ (246). Interessen von Eltern, Familie, Organisationen, Kirchen oder Gehörlosenkulturen müssten zurückstehen, falls sie gegen die Implantation sind.
Von der Logik her ist der Schluss bestechend. Einfach beides! Ich kann nicht bestreiten, dass man so das, nennen wir es mal das Autonomiepotential der Kinder maximiert — auf dem Reißbrett jedenfalls. Damit das Ganze aber funktioniert, muss die Wahlfreiheit ja zumindest bis ins Jugendlichenalter gewährleistet bleiben. Und das wiederum setzt voraus, dass Laut-, Schrift und Gebärdensprache auf hohem Niveau gelernt werden können. So dass der Jugendliche oder junge Erwachsene wirklich frei entscheiden könnte, das CI auch abzulegen und dadurch nicht behindert würde. Dass das hohe Anforderungen an das Kind sind und es die entsprechende Infrastruktur gegenwärtig nicht gibt, wurde in den Einträgen und Diskussionen dieses Blogs ja schon verschiedentlich thematisiert (z.B. hier und hier). Und es bleibt auch die Frage, ob dem Kind letztlich damit gedient wäre, ein CI zu bekommen, wenn sein gesamtes familiäres Umfeld nicht darauf oder sogar dagegen eingestellt ist. Müller und Zaracko sagen ja auch, dass es nicht um eine Entziehung des Sorgerechts gehen würde, also: Wäre Kindern damit gedient, im engsten Familienumfeld keine Unterstützung zu erhalten? Entweder weil die Eltern es nicht können oder nicht wollen? Ich glaube ja, dass Unterstützung durch die Eltern eins der wichtigsten Dinge ist, die man Kindern geben (oder nehmen) kann.
Selbstverständlich kann man trotz alldem noch argumentieren, Implantieren sei besser als Nicht-Implantieren. Aber: Dann muss man sich andere Argumente suchen. Nämlich sich nicht auf Autonomiemaximierung für die Kinder und Schadensminimierung wegen Reversibilität berufen, sondern einfach klar sagen, dass man möchte, dass das Kind die Chance erhält, in hörendem Umfeld zu bestehen. Und dass man dabei in Kauf nimmt, dass es für Kind und Eltern kein Sonntagsausflug wird. Aber gut, das ist das Leben ja sowieso nicht.
So. Und jetzt ist es spät, ich bin müde und geh ins Bett. Schaut mal selbst in den Text. Und das was Jule, Regenbogen und Bernd sagen. Und schreibt mal Eure Meinung.
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