Samstag, 16. April 2011

Ein Vokabeltrainer für die fünfte Landessprache

15.04.2011 | Tages-Anzeiger | Peter Aeschlimann | Schweiz




Im Internet abrufbare Videos von Gebärden helfen Gehörlosen und Hörenden beim Kommunizieren.

Zürich – Eine zur Faust geballte Hand schlägt zweimal auf einen imaginären Tisch. Quizfrage: Welcher Politiker ist damit gemeint? Christoph Blocher – natürlich. Wers richtig erraten hat, kennt bereits ein Wort in der fünften Landessprache der Schweiz, der Gebärdensprache. Obwohl Gehörlose seit Jahrzehnten nonverbal kommunizieren, mangelt es immer noch an Literatur und Hilfsmitteln, um die Gebärdensprache zu erlernen. Ein gestern beim Schweizerischen Gehörlosenbund (SGB) in Oerlikon vorgestelltes Projekt soll nun Abhilfe schaffen. Mit dem Online-Nachschlagewerk in Deutsch, Französisch und Italienisch werde der Wortschatz der Gebärdensprache für ein breites Publikum zugänglich gemacht, gebärdete Projektleiterin Brigitte Daiss-Klang, während eine Hörende für die Journalisten simultan übersetzte.
Ab dem 30. April sind auf der Website http://signsuisse.sgb-fss.ch 800 bis 1000 Gebärden abrufbar. Danach soll das Lexikon laufend erweitert und angepasst werden. Die Begriffe werden in kurzen Videos gebärdet, dazu gibt es einen Beispielsatz. Bei Blocher lautet der: «Herr Blocher hat seine eigene radikale Meinung» – beim Wort «Meinung» fasst sich die Gebärdende an den Kopf.
 Das Online-Lexikon soll die Basis für weitere Produkte in Gebärdensprache schaffen: Dokumentationen für Kinder, Schüler und Studenten. «Das Beherrschen der Gebärdensprache ist ein Schlüssel zur Bildung von Gehörlosen», sagte Tiziana Rimoldi, Mitglied der Geschäftsleitung beim SGB.
Lange Zeit verboten 
Marianne Wüthrich nutzt die Gebärdensprache, um mit ihrem 4-jährigen hörbehinderten Sohn zu kommunizieren. Er gebärde selbst noch nicht, verstehe aber bereits Worte wie «komm», «essen», «spielen». Sobald ein neues Wort auftauche, das sie noch nicht als Gebärde kenne, werde sie nun im Online-Lexikon nachschlagen können.
In der Vergangenheit wurden Gehörlose aufgrund ihrer Sprache diskriminiert. Die Gebärdensprache gründe aber auf einer traditionsreichen Kultur, gebärdete SGB-Medienverantwortliche Jutta Gstrein. Bis vor wenigen Jahren sei das Gebärden gesellschaftlich geächtet oder sogar verboten gewesen. Es hiess, dass Gebärdensprache dumm mache. Gehörlose wurden ihrer Sprache beraubt und zum Sprechen gezwungen. Noch heute werde an den Schulen nicht in Gebärdensprache unterrichtet.

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