Montag, 29. November 2010

Ich lebe gerne in einer stillen Welt

Ich lebe gerne in einer stillen Welt


Bericht einer jungen Gehörlosen

www.kestner.de

Am 22.11.1982 erblickte ich das Licht der Welt. Ich weiß nicht ob ich damals nach der Geburt etwas hören konnte, niemand weiß es. Wir wissen nur, dass ich auf einem Ohr von Geburt an taub bin. Man vermutet, dass ich auf dem anderen Ohr hörend war. Mit ca. 14 Monaten merkte meine Mutter, dass ich nicht höre. Sie rief nach mir, aber ich reagierte nicht, oder ich suchte nach der Richtung woher das Geräusch kam. Meine Eltern schleppten mich von Arzt zu Arzt und jeder meinte ich sei nur stur und will nicht hören. Sie sagten, „Es wird schon mit der Zeit kommen“.

Aber meine Eltern hatten immer wieder Zweifel, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich reagierte immer schlechter auf Geräusche. Bis sie dann mit mir zu einem Kinderarzt fuhren, um dort noch mal nachzufragen, ob es vielleicht nicht doch sein könnte, dass ich schlecht höre. Er schaute nur ins Ohr und war total sprachlos, dass ich mich überhaupt noch bewegen konnte und nicht nach Schmerzen schrie. Mein rechtes Ohr war stark entzündet. Und kein Krankenhaus hatte diese festgestellt. Es hätte nicht lange gedauert, und diese Entzündung wäre für mich tödlich gewesen. Gott sei Dank aber waren ja meine Engel bei mir, die haben mir sicher geholfen, dass ich nicht solche Schmerzen hatte und nicht schwer erkrankte.

Mit 3 Jahren bekam ich meine ersten Hörgeräte. Damit konnte ich dann dank Frühförderung die Sprache erlernen und hatte keine Probleme mich zu verständigen. Ich war eine gute Lippenleserin. Ab 8 Jahren bekam ich häufiger Hörstürze. Insgesamt habe ich 9 Hörstürze erlitten, wodurch ich auf dem rechten Ohr mit 14 fast taub wurde. Dies erschütterte mich sehr und bekam Panik. So entschied ich mich für ein Cochlea Implantat.
Die Welt wurde für mich lauter, ich konnte wieder vieles hören und sogar Geräusche, die ich vorher nie gehört habe, konnte ich zum ersten Mal hören. Die Sprache konnte ich verstehen und musste nicht mehr soviel von den Lippen lesen. Ich war froh ein CI zu haben, doch die Außenwelt machte immer mehr Druck. Hatte ich in der Klasse Mal etwas nicht verstanden und bat es noch mal zu wiederholen, sagte man mir, warum ich ein CI habe, ich kann doch hören. Wenn ich beim Frühstück oder Abendbrottisch bei meinen Eltern saß, haben sie mit mir kein Wort gesprochen, wenn ich mein CI nicht anhatte. Manchmal war es doch ganz gut in der stillen Welt zu sein, aber dann haben meine Eltern mit mir kein Wort gewechselt. Es hieße immer, "zieh dein CI an dann sag ich es dir". Der Druck wurde immer größer und größer. Jeder verlangte von mir, dass ich „perfekt“ hören kann, aber das wird nie möglich sein. Meine Eltern verlangten von mir sogar, dass ich auch die Arzttermine selber kläre, indem ich dort anrufe. Ich habe das Telefonieren mit fremden Leuten gehasst und mache es auch heute noch nicht gerne, weil ich weiß dass ich am Telefon nicht alles verstehe, denn ich bin ja teilweise auf das Mundbild angewiesen.

Seitdem ich selbstständiger bin, und in der Uni Gebärdensprachdolmetscher habe und Dolmetscher auch mit zu Ärzten kommen und Termine für mich ausmachen, wurde mir klar, dass ich damals als Kind nicht gelernt habe mit meiner Identität "gehörlos sein" umzugehen. Es ist schade, dass die Kinder in den Schulen nicht darauf vorbereitet werden, dass man auch als gehörloser Mensch ein gutes Leben führen kann, stattdessen wird immer gesagt, man muss gut hören können. Ärzte versprechen den Eltern, dass ein gehörloses Kind mit CI in einer hörenden Welt leben kann, in eine normale Schule gehen kann, aber was ist mit der Identität? Viel wichtiger ist doch, dass das Kind erstmal damit zurechtkommt, dass es im Ohr ein Defizit hat und dass es trotz dieser Behinderung ein supergutes Leben führen kann. Warum werden von Ärzten gehörlose Kinder als "nicht normale" Kinder angesehen, warum können wir nicht einfach so sein, wie wir geboren wurden, vielleicht wollten wir es doch, wir haben es uns sicher ausgesucht, das Leben als Gehörlos zu leben. Aber das können wir auch nur gut führen, wenn wir über die Identität aufgeklärt werden, wenn wir die Chance bekommen, so zu leben, wie wir sind. Schade, dass ich damals als Kind nicht wusste, dass es Gehörlosen die gar nicht hören sehr gut geht. Dazu musste ich erst eine Identitätskrise durchmachen. Man hätte sie mir ersparen können, indem die Ärzte,Schulen und das Internat die Gebärdensprache auch anerkannt und nicht als Ungeheuer angesehen hätten. Gebärdensprache ist das Wichtigste überhaupt, für uns, aber damals wurde sie uns genommen. Man sagte "sprecht Leute, lass das Sprechen mit Händen sein" Traurig, traurig! Ich möchte ja nicht gegen das CI sprechen, es ist sicher eine gute Sache, aber nur dann, wenn man auch gelernt hat, dass man eine Identität hat, und man von außen nicht den Druck bekommt, "perfekt hören zu müssen".
Heute fühle ich mich wohler in der stillen Welt. Oft trage ich mein CI nicht. In der Uni ist das Leben so laut, dass ich es nicht mit CI ertrage, es ist in der stillen Welt für mich angenehmer. Meistens ziehe ich mein CI nur dann an, wenn meine Eltern es von mir verlangen. Aber ich glaube auch hier sollte ich bald Klartext reden, dass ich mich nicht immer an andere anpassen muss. Was ist, wenn ich später nicht mehr so gut höre, weil z.B. die Technik versagt, wer weiß, wie viele Jahre die Technik mitmacht, was ist, wenn ich mal einen Unfall habe und dann gar nicht mehr hören kann. Da kann ich mich auch nicht immer auf andere anpassen!
Hinzukommt, dass ich immer bewusster die „Energie“ in meinem Kopf spüre, manchmal tut das CI auch richtig weh. Es gibt Phasen, wo es mal wie ein Blitz in den Kopf einschlägt und ich Schmerzen bekomme, manchmal ist es auch nur, als ob mein Kopf schwer wird und ich gar nicht mehr so klar denken kann. Ich weiß nicht, ob dadurch mein Energiefeld auch etwas geschädigt wurde. Eins steht jedenfalls fest, im Moment werde ich in der stillen Welt leben, was später ist, ob ich mein CI wieder regelmäßig anziehe, kann immer noch sein. Aber für jetzt habe ich mich entschieden erstmal wieder die stille Welt zu erlernen, und in ihr zu leben.

Nachtrag: Ich bin jetzt komplett gehörlos, mein CI habe ich abgesetzt, weil ich ständig Schmerzen bekomme, wenn es an ist. Meine Eltern wollen natürlich, dass ich zum Arzt gehe und das kläre. Ich habe aber Angst, dass die Ärzte auf die Idee kommen mich neu zu operieren, wenn ich zu denen gehe, aber das ist vorbei. Ich bleibe nun in meiner stillen Welt, in der ich mich auch wohl fühle. ;)

Jacqueline

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