Quellen: www.lkh.ch
4. April 2011
SVEHK
Vereinigung der Eltern hörbehinderter Kinder
LKH Schweiz
Lautsprachlich Kommunizierende Hörgeschädigte Schweiz
Schweiz. Tinnitus-Liga
Organisation der Menschen mit Tinnitus-Problemen
pro audito schweiz
Organisation der Menschen mit Hörproblemen
sonos
Gesamtverband der Hörgeschädigten-Organisation
vertreten durch die Parlamentarische Gruppe für Menschen mit Hörbehinderungen.
Bern, 14. April 2011
Sehr geehrter Herr Bundesrat
Sehr geehrte Damen und Herren
Wir danken dem Bundesamt für Sozialversicherungen (im folgenden BSV genannt) für die Möglichkeit, zur Verordnung für die neue Hörgeräteversorgung ab 1. Juli 2011 aus der Sicht der Betroffenen Stellung zu nehmen.
1. Allgemein
Grundsätzlich garantiert das Invaliden-Versicherungsgesetz nach wie vor den Menschen mit dem Gebrechen eines Hörverlustes eine einfache, zweckmässige Versorgung mit Hörgeräten.
Im Rahmen der allgemeinen Sparanstrengungen bei der IV sind bei der Hörgeräteversorgung Einsparungen von rund 20 Mio. Frankengeplant. Grundsätzlich akzeptieren die Hörbehindertenorganisationen die vorgesehenen Einsparungen. Einsparungen in dieser Grössenordnung können jedoch auch unter Beibehalt der jetzigen hohen Dienstleistungs- und Geräte-Qualität erzielt werden. Dies, sofern der vorliegende, aus unserer Sicht untaugliche Verordnungsentwurf gemäss den Stellungnahmen sowohl der Hörbehindertenorganisationen
wie auch der ORL-Ärzte und der Hörgeräteanbieter überarbeitet wird.
Die Verordnung geht davon aus, dass Menschen mit beginnendem Hörverlust nach einer kurzen Erstdiagnose durch einen HNO-Arzt auf eigene Initiative einen Versorgungsweg suchen. Es wird dabei sowohl die Kurzzeitversorgung durch ein Billiggerät ebenso wie eine Versorgung durch ein Importgerät als möglich erachtet. Dies ist sowohl für Menschen mit leichtem Hörverlust wie auch für mittel- bis stark hörbehinderte Menschen eine eigentliche Versorgungfalle.
Bezieht ein Mensch mit leichtem oder mittlerem bis schwerem Hörverlust ein Billiggerät (erhältlich in Apotheken ab CHF 400.--), so erhält er zwar eine Pauschale von CHF 840.--, aber er/sie vergibt gleichzeitig den Anspruch auf eine zukünftige Versorgung für die nächsten 6 Jahre. Dies kommt einer trickreichen Entlastung der Sozialversicherungen sehr nahe. Trickreiche Entlastungen sind aber staatspolitisch bedenklich. Der schweizerische Sozialversicherungs-Prämienzahler geht davon aus, dass Versicherungsmittel effizient und wirksam, aber nicht trickreich eingesetzt werden.
Die Pauschalisierung von Beiträgen an Hörhilfen erfolgt in Zukunft zudem nach dem „Giesskannenprinzip“. Jedermann/frau erhält, unabhängig von seinen Bedürfnissen, die Pauschale von Fr. 840.--. Dies ist ebenfalls staatspolitisch fragwürdig. Sozialversicherungsgelder sollten gemäss geltenden gesetzlichen Grundlagen bedürfnisgerecht ausgegeben werden. Unsinnig ist die im Kommentar zur Verordnung aufgestellte Behauptung, dass „nach Ansicht von Fachleuten kein zuverlässiger Zusammenhang zwischen der Schwere der Hörstörung und dem Anpassaufwand sowie den Kosten für ein Hörgerät besteht“. Wir kennen keine „Fachleute“, welche so etwas behaupten. Eine nochmalige Nachfrage sowohl bei Dr. Thomas Linder, Chefarzt HNO-Klinik mit Spezialgebiet "Otologie" am Kantonsspital Luzern wie auch bei der audiologischen Kommission hat ergeben, dass diese Behauptung von allen medizinischen Experten abgelehnt wird. Im Umkehrschluss wäre ja damit ausgesagt, dass die bisherige Indikationslösung bei der Hörgeräteversorgung jahrzehntelang auf völlig falschen Grundlagen basierte. Dies will das BSV mit seiner Behauptung wohl nicht darlegen.
2. Qualität der Hörgeräteversorgung
Die heutige Qualität der Hörgeräteversorgung muss auch nach dem 1. Juli 2011 erhalten werden. Bei Hörgeräten handelt es sich um invasive Medizinprodukte. Eine medizinische Eingangsuntersuchung durch einen Facharzt mit Vorgaben für die Hörgeräteanpassung ist unabdingbar notwendig, um Falschanpassungen und Gehörschäden zu vermeiden.
Die Anpassung der Hörgeräte muss durch ausgebildete und geprüfte Hörgeräte-Akustiker erfolgen, da nur diese die notwendigen Kenntnisse und die notwendigen Apparate inkl. Software besitzen.
Angepasst werden dürfen nur Hörgeräte, welche durch das Bundesamt homologisiert sind und minimalen Standards hinsichtlich Leistung und damit Nutzen entsprechen. Damit wird die Abgabe von mangelhaften oder nutzlosen Geräten verhindert, welche auch zu Gehörschäden führen können.
Eine breit angelegte Untersuchung unter Leitung von Prof. Probst, Direktor ORL-Klinik Unispital Zürich, hat aufgezeigt, dass Hörgeräte in der Schweiz von weit mehr Personen ständig getragen werden (Tragerate) als in den Nachbarländern. Dies beweist, dass die bisherige Hörgeräteanpassung in der Schweiz sehr erfolgreich ist.
Ziel der Verordnung ist es, die Hörgerätepreise auf deutsches Niveau zu „drükken“ und gleichzeitig die Dienstleistung sogar unter das Niveau der benachbarten Länder zu verschlechtern (Schlusskontrolle ist in Deutschland vorgegeben). In einem freien Markt ist dies durch Verordnungen künstlich nicht zu erreichen. Die Folgen dieses Versuches werden zukünftige Qualitätsmängel sein sowohl in der Geräteversorgung wie auch in den medizinisch-technischen Dienstleistungen.
Die Zahl der Menschen mit Hörverlusten, welche IV-Renten beziehen, ist in der Schweiz im übrigen rund 15 Mal tiefer als in Deutschland. Auch dies ist ein Beweis für erfolgreiche Hörgeräteanpassungen im Rahmen des bisherigen Systems. Es ist wohl nicht im Interesse der Sozialversicherungen, dass die Zahl der Neuverrentungen bei Hörbehinderten auch auf deutsches Niveau ansteigt.
3. Konkrete Forderungen für die Hörgeräteversorgung Erwachsener
a)
Die Qualitätsanforderungen an medizinische Diagnose, Gerätequalität und medizinisch-technische Anpassung müssen klar definiert werden und dürfen den gegenwärtig erreichten Stand nicht unterbieten.
b)
Für mittel- bis stark schwerhörige Menschen ist die Grundpauschale zu verdreifachen. Dabei ist nicht von einem begrenzten Quantum an “Härtefällen“ auszugehen, sondern von einer Definition durch die audiologische Kommission. Die Diagnose eines HNO-Arztes ist auf dieser Grundlage ausreichend für die Qualifikation eines mittel- bis starkschwerhörigen Anspruchsberechtigten. Die vorgesehene Expertise durch eine HNO-Klinik ist kompliziert, überflüssig und kostenverteuernd.
Die Mehrkosten durch die erhöhte Pauschale für mittel- bis stark schwerhörige Menschen können kompensiert werden durch eine entsprechende Senkung der Grundpauschale.
Wir gehen aus Erfahrung von einem Anteil von 20% mittel- bis stark schwerhörigen Menschen bei Erst- und Ersatzversorgungen aus. Aufgrund der heutigen Zahl Geräteversorgungen würde sich damit eine Senkung der Grundpauschale um rund 30 % ergeben. Konkret erhielten dabei die mittel- bis stark schwerhörigen Menschen einen Kostenbeitrag von Fr. 1‘800. —, die Menschen mit leichteren Hörverlusten einen Beitrag von Fr. 600.— pro Hörgerät. Die Einsparungen für die Sozialversicherungen beliefen sich dann auf den in der Verordnung vorgesehenen Gesamtbetrag.
c)
In der Verordnung überhaupt nicht erwähnt wird die Schlusskontrolle. Eine Schlusskontrolle ist zur Qualitätssicherung notwendig, dass zeigen alle vergleichbaren Versorgungen.
4. Ergänzende Stellungnahme für den Bereich der Kinderversorgung der Schweizerischen Vereinigung der Eltern hörgeschädigter Kinder (SVEHK)
Diese Stellungnahme behandelt ausschliesslich die Kinderversorgung wie sie in der Ziffer 5.07.03 und in den Erläuterungen dazu beschrieben wird.
Die Schweizerische Vereinigung der Eltern hörgeschädigter Kinder (SVEHK) bewertet am Entwurf als positiv:
a. Für Kinder wird keine Pauschale, sondern eine Höchstvergütung festgelegt
b. Die Versorgung von Kindern muss durch zugelassene Pädakustiker erfolgen.
c. Die Unterscheidung von K1, K2 und K3 Kindern wird fallengelassen
d. Die Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Pädakustik, HNOArzt mit Spezialgebiet Pädakustik und der Audiopädagogik wird gefordert.
Ungenügend am Entwurf ist:
e.
Die Regelung gilt nur bis zum Alter 18. In diesem Alter ist die Ausbildung in der Regel noch nicht abgeschlossen. Die Altersgrenze ist mindestens bis zum Alter 25 auszudehnen. Auch nach dem Erreichen der Alterslimite muss die Versorgung mit leistungsfähigen Hörgeräten sichergestellt bleiben. Der Bedarf bleibt auch im Berufsleben. Für stark hörgeschädigte Menschen ist die vorgeschlagene Pauschale nicht ausreichend.
f.
Die Höhe der maximalen Vergütung für Kinder ist etwa ein Drittel tiefer als bisher. Deshalb werden Eltern in Zukunft hohe Zuzahlungen leisten müssen.
g.
Die Dienstleistung (Anpassung, Reparaturen) soll gemäss Entwurf direkt in Form einer Pauschalen an die Eltern ausgerichtet werden. Weil Kinder und Jugendliche Hörgeräte stärker strapazieren als Erwachsene (Sand, Schweiss, Bewegung), wird die Pauschale bei kleinen und lebhaften Kindern und bei Jugendlichen, die eine Ausbildung mit harter körperlicher Arbeit machen (z. B. Forstwart), nicht ausreichen. Kleine Kinder brauchen häufiger neue Ohrmulden wegen des Wachstums. Aus diesen Gründen sollen die Dienstleistungen, entweder als Pauschale mit einer Mischrechnung über alle Kinder oder nach Aufwand, direkt mit dem Akustiker und nicht über eine Pauschale an die Eltern abgerechnet werden.
h.
Zusatzgeräte wie FM-Anlagen sind im Entwurf nicht erwähnt. Sie müssen im bisherigen Umfang abgegeben werden.
Bern, 14. April 2011
Für die Hörbehindertenorganisationen:
Nationalrat Rudolf Joder
Leiter Parlamentarische Gruppe für Menschen mit Hörbehinderungen
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