Dienstag, 28. Januar 2014

Musikgenuss trotz Hörschädigung

High Fidelity für Cochlea-Implantate


Wissenschaft














Quellen: www.nzz.ch


Hörimplantate helfen zuverlässig beim Verstehen von Gesprochenem. Musik hingegen geben sie nur dürftig wieder. (Bild: Giorgia Müller / NZZ)


Cochlea-Implantate gibt es seit über dreissig Jahren; die Geräte sind technisch dementsprechend weit ausgereift. Unverfälschter Musikgenuss allerdings bleibt den Trägern der elektronischen Hörhilfen bis anhin vorenthalten. Das soll sich nun ändern.



Helga Rietz
Musik hören könne man auch mit Implantat, sagt Erika Rychard vom Hörbehindertenverband «pro audito schweiz», aber man müsse sich das so vorstellen, «als spiele jemand mit Boxhandschuhen Klavier». Rychard ist Audioagogin am Inselspital in Bern. Sie begleitet dort Patienten, die, nachdem sie ein Hörimplantat bekommen haben, das Hören und Verstehen von Sprache genauso neu lernen müssen wie den Umgang mit Musik. Allein in der Schweiz stehen jedes Jahr rund 150 Menschen vor dieser Aufgabe.

 

Eine Frage der Auflösung


Warum Cochlea-Implantate (CI) das reiche Spektrum musikalischer Klänge, das normal Hörende gewohnt sind, nur äusserst dürftig wiederzugeben imstande sind, wird klar, wenn man sich deren Funktionsweise vor Augen führt: Grob gesprochen «übersetzt» das Cochlea-Implantat am Ohr eintreffenden Schall in elektrische Signale, die über feine Elektroden direkt im Innenohr Nervenzellen erregen (siehe Grafik). Funktionsstörungen des natürlichen Hörsinns im Innenohr werden so überbrückt.

Rein technologisch sind der Klangwiedergabe mit Cochlea-Implantaten derzeit allerdings enge Grenzen gesetzt: Übliche Implantate haben 12 bis 22 Elektroden. Damit können die Patienten 20 bis 50 verschiedene Tonhöhen hören und – mit etwas Training – Gesprochenes in einigermassen ruhiger Umgebung gut verstehen. Verglichen mit den fast 2000 Frequenzen, die das gesunde menschliche Ohr zu unterscheiden vermag, ist der Spielraum der Implantate hingegen dürftig. Harmonien und Klangfarben verschiedener Instrumente, die letztlich auf einem fein austarierten Zusammenspiel bestimmter Frequenzen beruhen, können nur rudimentär wiedergegeben werden. An die Qualität des natürlichen Hörens reichen Cochlea-Implantate auch nach langjähriger Entwicklungsarbeit bei weitem nicht heran, so dass CI-Patienten zu grossen Teilen der Zugang zu Musik verschlossen bleibt.

Zwar gebe es Gegenbeispiele, so Rychard, etwa Kinder, die mit Cochlea-Implantat Klavier oder sogar Geige spielen lernten. Das seien allerdings Einzelfälle. Unter den im Erwachsenenalter Ertaubten könnten viele diejenigen Musikstücke wiedererkennen, die sie vor dem Verlust des Gehörs schon kannten und liebten – und deren Klang durchaus geniessen. Bis anhin Unbekanntes bereite ihnen hingegen eher Mühe denn Freude.

 

Mehr Elektroden, vollerer Klang


Deshalb zielt ein Gutteil der heutigen Forschung zur Weiterentwicklung von Hörimplantaten darauf ab, wesentlich mehr Elektroden als derzeit üblich entlang der Hörschnecke aufzureihen. Am Georgia Institute of Technology etwa entwickelt Pamela Bhatti Implantate aus dünnen Polymerfilmen, auf die die Elektroden aufgedruckt werden. Kommerzielle Implantate würden noch immer in Handarbeit gefertigt, erläutert Bhatti. Das stelle nicht nur extrem hohe Anforderungen an die Fingerfertigkeit der Beschäftigten, sondern begrenze auch die Möglichkeiten zur Miniaturisierung der elektronischen Komponenten. Ausserdem sei das Verfahren sehr teuer - zu teuer für viele Patienten in den Schwellenländern. «China und Indien brauchen schnell billige Lösungen», so Bhatti. Deshalb setzt die Forscherin auf Dünnschicht-Technologien, die nicht nur zur Massenproduktion taugen, sondern auch die Herstellung mikrometerfeiner Strukturen erlauben. Die grösste Herausforderung sei es nun, ein Verfahren zu erfinden, mit dem sich das neue Implantat millimetergenau in der Cochlea placieren lasse, so Bhatti. Bisher habe man noch keine gute Methode gefunden.






















Unterdessen wartet die Natur mit einem weiteren, womöglich grösseren Problem auf: Die Kanäle der Cochlea sind mit einer Flüssigkeit gefüllt, die elektrische Signale gut leitet. Das führt dazu, dass Stromimpulse jeder einzelnen Elektrode auf dem Implantat jeweils viele benachbarte Neuronen stimulieren. Peter Nopp, Experte für Cochlea-Implantate beim Medizintechnikunternehmen Med-El in Innsbruck, hält deswegen nicht viel von der Idee, mittels einer grösseren Anzahl Elektroden die Klangqualität der Implantate zu verbessern. Schon bei Implantaten mit nur 12 Elektroden würden benachbarte Kontakte überlappende Frequenzbereiche stimulieren, so dass die Probanden in Labortests die Töne nebeneinanderliegender Elektroden zum Teil nicht unterscheiden könnten. Die Stromausbreitung in der Cochlea mache deshalb alle Versuche zunichte, mit mehr Elektroden ein Implantat mit feinerer Tonhöhenskala zu realisieren.

 

Der Code macht die Musik


Dafür gebe es aber auch bei einer vergleichsweise geringen Anzahl Elektroden noch Spielraum, die Klangwiedergabetreue zu erhöhen, so Nopp. Bei Med-El habe man beispielsweise Implantate entwickelt, die besonders lang sind und dadurch weit in die Cochlea hineinreichen. An deren Spitze, dem Apex, registriert das Gehör die tiefen Töne, während hochfrequente Klänge die Neuronen im unteren und mittleren Bereich der Cochlea feuern lassen.

Lang habe man die tiefen Frequenzen weitgehend vernachlässigt, so Nopp. Denn bei der Entwicklung der Cochlea-Implantate konzentrierte man sich naturgemäss erst einmal auf das Sprachverständnis, für das vor allem mittlere und hohe Frequenzen massgeblich sind. Neuere Implantate, die auch den Apex der Cochlea stimulieren, erreichen im Vergleich eine vollere, natürlichere Klangwiedergabe. Davon profitiert auch die Wahrnehmung von Musik: Denn die akustischen Schwingungen, die wir als Melodien wahrnehmen, spielen sich grösstenteils in einem relativ tiefen Frequenzbereich ab, während hohe Frequenzen in der Musik die sogenannten Obertöne übertragen, die für die jeweils charakteristische Klangfarbe eines Instruments sorgen.
Les Atlas von der University of Washington in Seattle brachte das auf die Idee, weit mehr Informationen als nur die Tonhöhe in der elektrischen Anregung durch das Implantat zu codieren. In ihrer jüngsten Publikation beschreiben Atlas und seine Mitarbeiter eine Weiterentwicklung der sogenannten Feinstruktur-Codierung. Das elektrische Signal, das an einer Elektrode des Cochlea-Implantats anliegt, wird dabei derart moduliert, dass die Obertöne eines Melodieinstruments «mitschwingen». Testpersonen mit Cochlea-Implantat konnten mit den neuen Algorithmen Instrumente deutlich besser an deren Klangfarben erkennen – allerdings noch immer keine Melodien hören.

Die Codierung von Schall in elektrische Impulse zu verbessern, sei eine schwierige und langwierige Aufgabe, betont dazu Werner Hemmert von der Technischen Universität München. Weil die Hörempfindungen zwischen CI-Patienten stets stark variieren, brauche es zur Evaluation allfälliger Verbesserungen stets Tests an sehr vielen Probanden.

Deswegen rücken einige Forscher, darunter auch Hemmert, nun die neuronale Verarbeitung der Signale im Hörsystem in den Fokus. «Es reicht nicht aus, das Implantat isoliert zu optimieren», sagt Hemmert. Man müsse vielmehr sicherstellen, dass die codierte Information im Gehirn auch ausgewertet werden kann. Hierbei sollen detaillierte Computermodelle helfen: Ziel ist es, quantitative Vergleiche der neuronal codierten Information zu ermöglichen und letztlich bessere Implantate schneller auf den Markt zu bringen.

 

Viel Zukunftsmusik


Cochlea-Implantate seien ein «unglaublicher Erfolg», sagt Tobias Moser und verweist auf die vielen Kinder, die heute mit CI eine Regelschule und später die Universität besuchen, Fremdsprachen lernen. Musik aber werde trotz diesen Erfolgen nur von den wenigsten CI-Patienten gern gehört. Deshalb testet Moser an der HNO-Klinik der Universität Göttingen derzeit neuartige Implantate, die eine signifikant feinere Tonhöhenabstufung versprechen – allerdings mit völlig anderen Mitteln als gängige Implantate: Statt elektronischer Signale soll nun Licht den Hörnerv stimulieren. Die Probleme, die momentan die Stromausbreitung in der Cochlea verursacht, liessen sich auf diese Weise umgehen, die Anzahl separater Stimulationskanäle entsprechend erhöhen und verdichten. Träger eines solchen Implantats – so die Theorie – sollten Tonhöhen und Klangfarben wesentlich besser wahrnehmen und unterscheiden können.
An der Universität Freiburg i. Br. hat Ulrich Schwarz dafür eine winzige, mit LED bestückte Lichterkette entwickelt. Auf deren blaues Licht sind die Nervenzellen der Cochlea normal allerdings nicht empfindlich; es braucht dazu eine gezielte, optogenetische Veränderung. Während diese bei Labortieren bereits etabliert ist, hat man bisher nur erste vorsichtige Schritte in Richtung entsprechender Versuche am Menschen unternommen. Von Fortschritten auf dem Gebiet der Optogenetik wird es dementsprechend abhängen, ob Hörgeschädigte in einer fernen Zukunft Licht «hören» lernen.

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