Von den Vorzügen der Stille
Taube Menschen gelten als behindert - zu Unrecht, wie sie selbst  finden. Viele wollen überhaupt nicht hören, und auch ihre Kinder sollen  es nicht lernen. Zwei Berliner Mütter erklären, warum
 
BERLIN. Die Frau am Schalter versteht sofort, als Claudia Mechela auf  ihre Lippen zeigt und den Kopf schüttelt. Sie schiebt der Reisenden ein  Blatt Papier über den Tresen. Claudia Mechela hat ihre älteste Tochter  in Hamburg besucht, sie steht unter den eisernen Bögen des Hauptbahnhofs  und schreibt der Frau am Schalter auf, dass sie eine Rückfahrkarte nach  Berlin lösen möchte. Zeigen, Nicken, Kopfschütteln. Der Rucksacktourist  am Schalter nebenan spricht nur Englisch, da dauert es länger. Ein  irritierter Blick allenfalls, als Claudia die Frage nach einer weiteren  Karte laut verneint, es ist ein kehliges, fremdes Geräusch. Im  Klangsortiment des Deutschen ist es nicht vorgesehen.
Claudia  Mechela selbst hört dieses Geräusch nicht, die 38-Jährige ist taub. Also  behindert. Jedenfalls steht es so in ihrem Ausweis. "Ich empfinde das  als Diskriminierung. Warum gelten Hörende als normal und wir als  behindert?", fragt sie.
Claudia Mechela, dunkelblondes Haar,  randlose Brille, ungeschminkt, ist berufstätig und Mutter von drei  Kindern. Und einer von etwa 80 000 tauben Menschen in Deutschland. Die  geräuschlose Welt, die sie bewohnt, ist die beste, die sie sich  vorstellen kann: "Ich bin taub und fühle mich sehr wohl, das ist meine  Welt", sagt Claudia Mechela. Oder genauer: Sie zeichnet ihre Worte mit  den Händen in die Luft, eine Dolmetscherin übersetzt dem Hörenden. Auch  die Augen sprechen mit, das Gesicht, der gesamte Körper. Die  Gebärdensprache ist komplex, dreidimensional: Ihre Sprecher können bis  zu neun Zeichen gleichzeitig darstellen - ohne einen Laut. Weder die  quietschenden Bremsen der einfahrenden Züge noch die  Lautsprecherdurchsagen stören Claudias Mechelas Gespräch mit der Tochter  in der Bahnhofshalle.
Wenn die Lampe blinkt
Sie vermisse  nichts, sagt Claudia Mechela, Taubheit stelle für sie einen Idealzustand  dar. Auch ihr Lebensgefährte ist gehörlos, seit er vor zehn Jahren  einen Hörsturz erlitt. Die beiden arbeiten in einer  Gebärdensprachschule, leben in einer Doppelhaushälfte in  Berlin-Reinickendorf. Wenn man an der Tür klingelt, blinkt im Wohnzimmer  eine Lampe. Ihr Leben hat sich der Stille angepasst.
Aber über 99  Prozent der Bevölkerung sind nicht taub, die Nachbarn nicht und auch  nicht die Frau an der Fleischtheke, weder der Mann beim Amt noch die  Moderatorin im Radio, und wenn die Bundeskanzlerin zum Volk spricht,  bedient auch sie sich des gesprochenen Worts. Claudia kann das nicht.  Als Kind wollte sie Anwältin werden, ihre Mutter sagte, das sei  aussichtslos, ohne Lautsprache. Als ein Mitreisender sie im Zug zurück  nach Berlin anspricht, packt sie Stift und Papier aus. Das geht gut, wie  fast immer.
Claudia lenkt jetzt ihren kleinen, schwarzen BMW nach  Hause, sie fährt sportlich, die meiste Zeit sieht sie nicht auf die  Straße, sondern zur Dolmetscherin auf dem Beifahrersitz - ohne  Blickkontakt kein Gespräch. Bis jetzt ist auch das immer gut gegangen.  Aber wenn hinter ihr einer hupt, wird sie es nicht merken.
Die  Ohrenmenschen finden, Taube sollten hören wollen. Daher auch der Begriff  "gehörlos", den Claudia und viele andere Taube als herabsetzend  empfinden, weil er das Defizit betont. Früher zwang man sie, Schulen für  Hörende zu besuchen. Logopäden mühten sich, ihnen Laute beizubringen,  deren Klang ihnen unbekannt war. Fassten ihnen an den Hals, klopften  ihnen auf die Brust. "Manchmal waren sie sehr grob, weil ich nicht  schnell genug gelernt habe", sagt Claudia Mechela. Dabei habe sie  schlichtweg nicht verstanden, warum sie die unbekannten Laute erlernen  sollte - sie sprach ja fließend, wenn auch nicht mithilfe von  Stimmbändern, Gaumen und Zunge.
Das Lachen und der Groll
Es  war in der Nachkriegszeit, als sich erstmals Stolz auf die  Gebärdensprache regt - und Widerstand gegen den Zwang zur Anpassung. In  den USA begannen die Tauben, sich als kulturelle Minderheit zu verstehen  und für ihre Rechte einzutreten. Mit Erfolg: Bis heute ist Amerika das  gelobte Land für Taube. An den Schulen lernen hörende Kinder Grundzüge  der Gebärdensprache, an der Gallaudet University in Washington D. C. ist  die American Sign Language Unterrichtssprache. Das ist weltweit  einzigartig. Aber auch in Deutschland haben sich die Tauben emanzipiert.  Die Gebärdensprache ist seit 2002 offiziell anerkannt: Um 20 Uhr  übersetzt ein Dolmetscher die Tagesschau, es gibt Gebärdentheater und  -festivals, Gehörlosenverbände und -zeitschriften.
Und sie treten  zunehmend selbstbewusst auf. So wie Gina Kaszubowski, 34 Jahre alt,  schulterlanges, schwarzes Haar, ein Stecker im rechten Nasenflügel. Beim  Lachen wirft sie den Kopf in den Nacken, und mit derselben Leidenschaft  zeigt sie ihren Groll. Der gilt vor allem den anderen - den Hörenden:  Wenn sie nicht verstehen, beim Einkaufen etwa, oder sich über sie lustig  machen, im Bus auf dem Sitz gegenüber, wenn irgendwann das Wort  Affensprache fällt. Gina Kaszubowski liest es von den Lippen der  Hörenden. Ihre Gebärden werden raumgreifend, wenn sie diese Anekdote  erzählt. Aufgestanden sei sie und habe sich wie ein Affe unter den  Achseln gekratzt. Die Hörenden seien beschämt gewesen, weil sie  verstanden hatte.
Gina Kaszubowski ist in dritter Generation taub,  auch sie arbeitet als Gebärdensprachlehrerin. Ihr siebenjähriger Sohn  ist gerade in die Schule gekommen, die Tochter, fünf Jahre ist sie alt,  noch in der Vorschule, Gina Kaszubowskis Lebensgefährte ist ebenfalls  taub. Familienalltag, ein Häuschen in Berlin-Spandau, eine grüne, ruhige  Gegend. Abgesehen von den Flugzeugen, die in der Einflugschneise nach  Tegel über den Garten donnern, aber Fluglärm hat keinen Einfluss auf das  Leben einer tauben Familie.
Ihre Kultur empfindet Gina  Kaszubowski als ebenbürtig, ihre Sprache als elegant. "Für Hörende ist  es doch anstrengend, die ganze Zeit zu sprechen. Gebärden finde ich  angenehmer, ich kriege keinen trockenen Hals und kann auch mit vollem  Mund sprechen", sagt sie. Aber den Hilfeschrei ihres Kindes würde sie  doch nicht hören? Und nie kann sie der Callas lauschen oder dem Gesang  einer Nachtigall. Für Gina Kaszubowski sind das die Gedanken der  Hörenden. Sie vermisst Wohlklang nicht.
Was aber wäre, wenn man  etwas tun könnte gegen die Taubheit? In den Achtzigerjahren entwickelten  Forscher das Cochlea-Implantat (CI), eine Art Gehörprothese. Es wird  unter die Haut operiert und wandelt Schall in elektrische Signale um.  Menschen, die im Erwachsenenalter ertauben, können mit dem Knopf im Ohr  einen Hauch ihres alten Lebens zurückerobern. Gebürtige Taube, die ihre  lautlose Muttersprache fließend beherrschen, zu Hörenden umzubasteln,  ist indes umstritten, zumal Stimmengewirr oder undeutliche Aussprache  den Träger stets überfordern werden: Er bleibt hörbehindert.
Die herrlichste Sache der Welt
Den  Tauben gegenüber stehen Forschung und Medizin, beseelt von der  Vorstellung zu heilen. Und eine Mehrheitskultur, für die  Gleichberechtigung vor allem Anpassung der Minderheit bedeutet, notfalls  auch mit einer Metallspule in der Schläfe. "Hören ist die herrlichste  Sache der Welt, solange man es kann", wirbt etwa die Deutsche Cochlear  Implant Gesellschaft. Wer die Lautsprache nicht beherrsche, dem drohte  die soziale Vereinsamung.
In der Regel zahlt die Krankenkasse die  40 000 Euro teure Operation, sie übernimmt auch die anschließende  logopädische Behandlung. Billiger wäre es, argumentieren  Gehörlosenverbände, betroffenen Familien Kurse in Gebärdensprache zu  finanzieren. Die Operation ist zudem riskant, sie findet unter  Vollnarkose nahe am Gehirn statt.
Vor allem aber sehen viele Taube  in dem Implantat ein Symbol der Unterdrückung. "Die Gemeinschaft der  Tauben stellt eine sprachliche und kulturelle Gemeinschaft dar, die  nicht das Bestreben hat, in eine hörende Gesellschaft assimiliert zu  werden", findet etwa der Berliner Gehörlosenverband.
Erbittert  wird die Diskussion geführt, wenn es um das Wohl der Kinder geht.  Gehörlos Geborene sollten möglichst frühzeitig ein Cochlea-Implantat  bekommen, meinen manche, weil es Kindern ab einem Alter von acht Jahren  immer schwerer fällt, die Lautsprache zu erlernen. Zwei  Wissenschaftlerinnen argumentierten kürzlich in einer Fachzeitschrift,  der Staat müsse Eltern daran hindern, ihrem Nachwuchs den Weg zu  Bildung, Arbeit und Partnerschaft zu verbauen. Notfalls könnten  Familiengerichte Eltern das Sorgerecht entziehen.
Bei vielen  Tauben löst das Empörung aus. "Meine Kinder werden nie ein CI bekommen,  wenn sie es nicht unbedingt selbst wollen", sagt Gina Kaszubowski. Sie  plaudert mit einer Freundin, es gibt Kaffee und Kuchen, die Kinder toben  auf dem Sofa in der Ecke. Dass sie taub sind, bedeutet mitnichten, dass  sie nicht lauthals streiten würden. Der Große schreit, die Kleine  plärrt, Gina Kaszubowski unterhält sich unbeeindruckt weiter. Lärm kann  taube Eltern nicht irritieren.
Es sei mit ihren Kindern wie mit  einer Pflanze, sagt Gina, die müsse sie auch gießen und pflegen. "Aber  ich schneide sie nicht ab und setze ein Stück Metall ein. Damit mache  ich doch Roboter aus meinen Kindern." Die würden die Lautsprache im  Übrigen nicht vermissen, sie wüchsen wie selbstverständlich ohne Ton  auf. "Manchmal fragen sie höchstens, warum die anderen Leute so komisch  sprechen statt zu gebärden", sagt Gina Kaszubowski. Nicht, dass sie ihre  Kinder von der Welt der Töne fernhielte. Sie bringe ihnen bei,  selbstständig mit Hörenden zu kommunizieren, etwa ein Eis zu bestellen -  aber als Besucher in der anderen Welt, nicht als Einheimische.
Wie  groß der Anteil tauber Eltern ist, die kein CI für ihre Kinder wollen,  will man beim Deutschen Gehörlosen-Bund nicht einschätzen. Wichtiger  sei, sagt eine Vertreterin des Verbandes, dass man sich nicht als  behindert verstehe. Ebenso gut könne man Schwarze fragen, wie viele von  ihnen lieber weiß wären.
Gina Kaszubowski glaubt, die Diskussion  wäre überflüssig, wenn Taube in ihrer Muttersprache am Leben der  Mehrheit teilnehmen könnten. Auf Augenhöhe. "Ich wünsche mir, dass  hörende und taube Schüler zusammen lernen, dass alle ein paar  grundlegende Gebärden beherrschen", sagt sie. In den USA könne sie beim  Einkaufen einfach das Fingeralphabet benutzen.
Jenseits des Stolzes
Und  dann sagt Gina Kaszubowski noch einen Satz, der zeigt, dass die  Abneigung tauber Eltern gegen das CI noch einen anderen Grund hat,  jenseits von Stolz und Widerstand, einen sehr menschlichen Grund: "Ich  bin ganz froh, dass mein Sohn taub ist und unsere Sprache spricht." Er  könne am Leben der tauben Gemeinschaft teilnehmen. "So bleibt er in  unserer Welt." In einer Welt, in der niemand von Affensprache redet. In  der sie ihren Kindern folgen kann, wenn sie eines Tages eigene Wege  gehen. In der aber auch niemand Manager oder Anwalt wird. Gina  Kaszubowski will ihre Kinder nicht verlieren an die andere Welt, aus der  sie vielleicht nie mehr zurückfinden in die Stille.
Auch Claudia  Mechela kennt diese Angst, und manchmal kommt sie zu ihr nach Hause.  Denn nur ihre 17-jährige Tochter ist taub, nicht aber die beiden  Kleinen. Der Sohn ist acht, die Tochter dreizehn, beide hören, auch wenn  sie die Gebärdensprache fließend beherrschen. "Es ist schon ein  Problem, wenn uns zu einer Geburtstagsfeier hörende Kinder besuchen. Die  sitzen dann zusammen und unterhalten sich, und ich kann nicht  mitreden." Dann, sagt Claudia Mechela, fühle sie sich allein. Und  wünscht sich, manchmal, die beiden Kleinen wären auch taub wie die  älteste. "Ich glaube, es ist besser, wenn die Kinder ganz zu einer Welt  gehören", sagt Claudia Mechela. Sie meint jene Welt, in der die Züge  nicht quietschen, wenn sie in den Bahnhof fahren.
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Foto:  "Ich bin taub und fühle mich sehr wohl, das ist meine Welt", sagt  Claudia Mechela (r.). Und Gina Kaszubowski, in dritter Generation taub,  findet die Gebärdensprache elegant: "Für Hörende ist es doch  anstrengend, die ganze Zeit zu sprechen. Gebärden finde ich angenehmer,  ich kriege keinen
trockenen Hals und kann auch mit vollem Mund sprechen."
Sebastian Kretz Quellen von Foto:  http://www.evangelisch.de/
 
Hallo, Ihr beiden! Was bedeutet Audismus? Könntet Ihr uns die Begrifflichkeiten kurz erklären?
Peters: Audismus bedeutet eine Diskriminierung, die sich auf auditive Hörvermögensgrade bezieht. Diskriminiert wird man, wenn man auf das auditive Hörvermögen reduziert wird. Es bedeutet weiters, dass Hörende Gehörlose unterdrücken und Gehörlose Gehörlose ebenso - schlechterer Hörfähigkeit. Denn oft genug wird gedacht, dass besseres Hören einen besseren Menschen ausmacht.
Welche Vorstellung haben Gehörlose von sich selbst? Wie denken sie über Gehörlosigkeit? Positiv oder negativ?
Peters: Gehörlose selbst haben eine negative Vorstellung vom Gehörlossein: ich kann etwas nicht - denken sie. Sie denken also, dass Hörende besser als sie sind. Aber es geht doch um den Audismus, wodurch Gehörlose unterdrückt werden! Und das passiert, weil wir aus dem Unterbewusstsein reagieren.
Gehörlose haben negative Gedanken über ihren eigenen Status und empfinden sich oft als minderwertig.
Aber wenn Gehörlose hartnäckig bleiben, können Sie ihren Willen durchsetzen.
Wie kann die Gebärdensprache zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen? Was bedeutet Deafismus? Und welche Auswirkung hat er?
Peters: Klar ist, dass man sich durch Sprache definiert. Und Hörende sprechen nun mal Lautsprache - also gehen sie davon aus, dass sich Gehörlose anpassen müssen. Dies sollte jedoch ignoriert werden. Stattdessen sollte mehr gebärdet werden.
Deafismus beschreibt ein weiten Spektrums, das positiv und negativ ist. Zum Beispiel ist negativ daran, wenn Gehörlose sich nur mit Gehörlosen umgeben und Hörende ausgrenzen. Außerdem gibt es welche, die die weniger gebärdensprachkompetenten auch ausschließen. Oder dass Gehörlose ausgestoßen werden, wenn sie hörende Eltern haben! Im Gegensatz zu Gehörlosen, deren Eltern auch gehörlos sind. Das ist negativer Deafismus.
Rathmann: Beim positiven Deafismus zeigt eine Gruppe Selbstbewusstsein, Kompetenz der Gebärdensprache, eigene Kultur, die stolz präsentiert werden kann. Das ist der positive Aspekt von Deafismus. Solange es die Gehörlosengemeinde positiv beeinflusst, wird das Auftreten gestärkt!
Kolonialismus bedeutet, dass Hörende Gehörlose systematisch unterdrücken. Ist die Gehörlosengemeinschaft gut aufgestellt, kann sie der Unterdrückung gut widerstehen. Es ist möglich! Ist die Gehörlosengemeinde nicht gut aufgestellt, konnte das die Gemeinde nicht verkraften und würden daher der Unterdrückung nichts entgegensetzen können.
Wie läuft der Prozeß, der Weg zur Verbesserung ab? Ist er eher langwierig oder verläuft alles glatt? Was müssen Gehörlose dabei eigentlich machen?
Rathmann: Klar ist, dass der Prozeß nicht einfach im Nu vollendet ist, so ist, wie es so sein sollte, sondern er entwickelt sich Schritt für Schritt, wobei darin noch viel auseinandergesetzt und über verschiedene Grundlagen wie Forschungen und Verhandlungen über Kongresse, an denen sich Gehörlose versammeln, diskutiert werden muss.
In Deutschland, England und in den USA sind wir schon ein bisschen weiter. Daraus entwickelte sich ein klares Bild. Ohne den Autausch von Informationen zwischen diesen Ländern wäre es ansonsten schwierig, mehr Klarheit über das Ganze zu bekommen und wie der Prozeß als Ganzes abläuft. Deafhood bedeutet, dass Gehörlose sich entfalten und etwickeln, sodass sie mit sich selbst im Reinen sind. Die eigene Definition von Gehörlosengruppen betrifft nur das, was von sich aus positiv für Gehörlose entwickelt. Andere Definitionen wurden von Hörenden für Gehörlose geformt, wie sie sein sollten (Normen und Werte).
Nein! Gehörlose sollen sich selbst analysieren, was sich aus dem Prozeß entwickelt und entsteht. So kommen Veränderungen zustande. Deshalb gibt es kleine Tipps von mir und ihm, wobei wir gemeinsam in Zukunft bezüglich Gehörlosenunterdrückung weiter arbeiten werden.
Peters: Und auch... in einer Gehörlosengemeinde gibt es Chaos, Probleme und Beschwerden. Wie zB. bei Gallaudet, es gab eine große Protestaktion von gehörlosen Studenten. Wir beobachteten dies und wunderten uns, warum das geschah. Wir sammelten selektive, einzelne Ereignisse zu einem Pool des Wissens für die Forschung zusammen. Daraus hat sich die Wissenschaft entwickelt. Das ist ein Beispiel.
Rathmann: Ein weiteres Beispiel: Gehörlose Kinder werden weniger gut betreut. Schwerhörige Kinder hingegen werden besser betreut. Gehörlose schauen hierbei nur zu und verhalten sich passiv. Die gesamte Gruppe verhält sich daraufhin so, als wäre nichts geschehen. Das könnte bei einer anderen Gelegenheit ... wie zB. beim Kampf um Anerkennung ... negativ auswirken. Die Gehörlosengemeinschaft könnte dadurch schwächer werden. Das könnte passieren!
Aber wenn wir anfangen zu diskutieren und zu überlegen, könnte alles besser werden. Wir müssten dann die Ärmel aufkrempeln und aktiv werden. Dann könnte es bessere Ergebnisse im Bildungsbereich geben. Wenn wir nichts unternehmen, ist jedem weiteren Schritt ein Hindernis in den Weg gelegt und unsere Projekte werden weniger erfolgreich sein.
Welche Aktione, ob positive oder negative, gibt es innerhalb der Gehörlosengemeinde in Bezug auf Deafismus? Konntet Ihr uns das anhand eines Beispiels erklären?
Rathmann: Wie gerade erwähnt gibt es zwei Aspekte von Deafismus. Einer davon ist die negative Form und bedeutet Diskriminierung, während die positive Form das Selbstbewusstsein stärkt. Das ist ein Teil des Deafismus. Gleiches ist gleich. Klarer wird es, wenn Gehörlose bei verschiedenen Themen mehr ins Detail gehen.
Peters: Nehmen wir zB. den Feminismus. Auch hier gibt es positive und negative Seiten. In den 1980er Jahren, am Anfang der Frauenbewegung, hat Al. Kh. dazu aufgefordert Hausfrauen zu unterdrücken. Die Frauen brauchen etwas anderes. Sie bekommen auch, was sie brauchen. Das stärkt das Selbstbewusstsein der Frauen. Das ist ein positives Zeichen von Feminismus.
Parallel kann man den Deafismus hernehmen, der sowohl gute als auch schlechte Seiten hat. Deafismus hat schon begonnen, entwickelt sich bereits weiter. Die Gehörlosengemeinschaft könnte darin positivere Zeichen sehen und mehr Teamfähigkeit entwickeln. Das ist positiver Deafismus.
Rathmann: In Hinsicht darauf könnte es interessant werden. Ein Rollstuhlfahrer schilderte eine Zusammenkunft der Behindertenbewegung und bemerkte, dass es hierzu viele Parallelen zum Deafismus gibt. In den 1980er Jahren rebellierten auch die Behinderten. Das war überwältigend! Als es sich aber weiter entwickelte, sahen die Protestaktionen schon anders aus und haben sich im Vergleich zu früher verändert. Das ist damals bei den Anfängen von Deafismus genauso gewesen. Verschiedene Aspekte von Behinderungen schlossen sich zu einer Gruppe zusammen. Sie gaben Vollgas und wurden aktiv, verbesserten sich. Das ist der gleiche Prozess wie bei der Behindertengruppe. Es ist interessant so etwas zu beobachten.
Was würdet Ihr uns zu unseren Workshop-Angeboten raten? Wie sollten sie gestaltet werden?
Rathmann: Workshops sollen nicht allgemeine Themen behandeln, sondern gezielt auf spezifische Themen eingehen und dieses im Team diskutiert. Diese Diskussionen sollten nicht als Reaktion auf Unterbewusstes passieren, sondern mit Kenntnis und Wissen und bewusst vonstatten gehen.
Es wäre auch wichtig mehr zu sensibilisieren, um mit einem Team eines deutschen Gehörlosenbundes effektiver arbeiten zu können. Dieser Bund könnte mehr Unterstützung bieten. Man sollte sich mit dem Thema beschäftigen und darüber sprechen.
Was gefällt Euch an der österreichischen Gehörlosengemeinschaft? Was haltet Ihr davon?
Peters: Was ich in Österreich sehe, finde ich beeindruckend. Speziell die Berichterstattung über die Diskriminierung in Hinsicht auf Gehörlose und Hörende. Wir Gehörlose können daraus selbst einen Vorteil ziehen, wenn wir davon lesen und dann empfinden, dass es gleich Betroffene wie uns gibt.
Was uns in Österreich beeindruckt, sind Veranstaltung wie "Türkis" oder Gehörlosenfestivals. Genau das ist genau positiver Deafismus. Das bedeutet Halt in der Gemeinschaft. Wir finden das ganz toll und super!
Rathmann: Was wir uns wünschen um mehr Nutzen von Österreich zu erhalten: Aufklärung wie es mit der Gestaltung und Strukturierung eines Projekts aussieht. Wir konnten beobachten, wie die Organisation mit dem Ministerium war und für unsere Beschäftigung ist das wichtig. So wissen wir, was wir unternehmen würden. Solch eine Aufklärung wünschen wir uns.
Welche Vorteile unserer Gehörlosengemeinde wäre für Euch Gehörlose in Deutschland auch nützlich?
Peters: Was mir in Österreich gut gefällt, sind die Diskriminierungsberichte, die sehr hilfreich sind für deutsche Gehörlose, mit denen können wir uns identifizieren. Das ist auch ein Ansporn zum Nachdenken, wie wir damit besser umgehen könnten. Das trägt exzellent zur Verbresserung bei. Ebenfalls beeindruckt mich in Österreich zB. das "Türkise Band" und vieles mehr. Das stärkt die Gehörlosengemeinschaft, zeigt ihre Stärke. Toll!
Vielen herzlichen Dank für die Zeit, die Ihr Euch für das lange Interview genommen habt!
(er)
Foto: Gebärdenwelt
Video: Gebärdenwelt